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☆☆☆Zweiter Bericht von Felicitas Künlen, dreiundzwanzigste Stipendiatin der GRÜNWALD STIFTUNG☆☆☆

Kyoto, Montagmittag, 18.03.,13 Uhr. Dr. Prof. Aoji erwartet mich mit drei japanischen
Studentinnen an der U-Bahn Station ,,Karasuma-Oike“. Sie beginnen fröhlich zu kreischen
und in die Hände zu klatschen, als sie mich sehen. Zusammen machen wir einen Ausflug in
den Botanischen Garten, schauen uns die Universität Kyoto an und den ,,Shimogamo
Schrein“. Anschließend lädt uns Herr Prof. Aoji zu ,,Mitarashi-Dango“ ein, eine Art salziger
Motchi. Ein schöner Tag, der von anregenden Gesprächen über japanisches Leben und
Studieren begleitet wird.

Vor dem Hasenaltar des Shimogamo Schrein. Hase ist mein Sternzeichen im chinesischen Horoskop (Geburtsjahr 1999).

Am folgenden Abend ging ich auf den Deutsch-Sprachtisch, wo für jedes gesprochene
japanische Wort 100 YEN in ein Sparschwein geworfen werden müssen – ich komme also
günstig davon. Neben den üblichen Themen, die die Deutschen ,,lieben“ und auch im Ausland
unbedingt besprochen werden müssen (Ukraine-Krieg und C-Virus), ging es anschließend
über Gesundheit, genauer: Was machst du, um gesund zu bleiben? Nachdem ich den
Teilnehmern einen kleinen Vortrag über die Vorteile von ,,Morgens Öl Ziehen“ und
,,Apfelessig trinken (morgens einen Esslöffel auf ein Glas warmes Wasser trinken, ist ein
natürliches Antibiotikum, wirkt unter anderem antibakteriell, entzündungshemmend und
stärkt das Immunsystem)“ gehalten habe, meint mein japanischer Mitteilnehmer nur kurz und
prägnant: ,,Ich trinke Frankenwein für die Gesundheit“. So geht’s natürlich auch!
Die nächsten zwei Tage habe ich frei – so nutze ich meine Zeit, um durch Osaka zu spazieren
und mir wie ein guter Tourist alles anzusehen, was mir Chat-GPT vorschlägt. Was Chat-GPT
jedoch nicht bedacht hat, ist das Wetter! Noch ist die Kirschblüte nicht da und der Frühling
zeigt sich von seiner unschönen Seite. Bei fünf Grad mit Gegenwind und Regen bahne ich mir
meinen Weg zum ,,Yasaka-Shrine“. Das große Drachenmaul scheint das Wetter nicht zu
stören, mir wird es aber Zuviel. Ich trete geordnet den Rückweg an und beschließe mir für den
nächsten Tag eine Aktivität für drinnen zu suchen.

Ein Gläubiger steht betend vor dem Yasaka-Shrine; ich kaufe mir noch einen Glücksfisch als
Andenken. Im westlichen Horoskop bin ich nämlich Fisch als Sternzeichen.

Gesagt getan – am 21.03. besuche ich das Historische Museum Osaka. Leider sind viele
Beschreibungen nur auf Japanisch und ich verstehe – nun ja, nur Bahnhof. Was mir aber klar
wird – damals wie heute war Osaka schon immer eine wichtige Stadt. Und man hat einen
tollen Blick auf das Schloss Osaka von oben. Den anschließenden Besuch des Schlosses hätte
ich mir aber, zumindest von innen, sparen können. Zusammen mit einer Horde anderer
Touristen wird man Stockwerk für Stockwerk hinaufgejagt. Mir sind Menschenmassen
eigentlich zu viel und ich will gerade umkehren, als ich mir sage, dass ich das Eintrittsgeld
nicht umsonst bezahlt haben will. Die innere viertel-stämmige Schwäbin in mir hat wohl
gesiegt!

Vor dem Schloss Osaka

Freitag, 22.03. Auf meinen Knien liegt eine stachelige kleine Kugel namens Wasabi. Ein
Näschen bewegt sich in der Luft und scheint Mehlwürmer zu riechen. Ich nehme einen
Schluck Grüntee aus meiner Flasche und lausche der klassischen Musik im Hintergrund. Kurz
– ich bin in einem Igel-Café gelandet. Gestern noch japanisches Haus-Schwein – heute
afrikanischer-Weißbauch-Igel: Themen-Cafés in Japan können vielfältig sein! Im hippen und
lauten Viertel ,,Namba“ kommt einem der kleine Raum mit sieben Igeln wie eine Ruhe-Oase
vor. Für umgerechnet 13 Euro kann ich mich eine Stunde von der Außenwelt einigeln.
Gartenhandschuhe und vier Mehlwürmer sind inklusive. Für einen Aufpreis von zwei Euro
darf ich Polaroids mit dem kleinen Wasabi schießen.

Wasabi und Ich – wie sollte der kleine japanische Stachelball auch sonst heißen?

Am folgenden Tag war ich bei Dr. Prof. Aoji privat eingeladen. Neben seinem Lehrberuf an
der ,,Kyoto Prefectural University“ ist er Priester und leitet einen Tempel. Dort erwarteten
mich eine Teezeremonie, klassische Musik und Sushi. Seine Studentin, die zeitgleich die
dreijährige Ausbildung zur Teemeisterin absolviert, leitete die Teezeremonie an. Andächtig
wird jede Handbewegung wie in einer Ballett-Choreographie mit Eleganz und Leichtigkeit
ausgeführt, ehe anschließend das grüne ,,Gold“, alias Matcha-Pulver, mit heißem Wasser in
den hübschen Schalen schaumig geschlagen wird. Wir Teilnehmer sitzen andächtig kniend
daneben und beobachten den ,,Tee-Tanz“. Einzig mir wurde als ,,langhaxige“ Europäerin ein
Schemel angeboten. (M)Ein großes Glück, wie sich später herausstellte, denn selbst den
Japanern, die die knieende Sitzposition noch mehr gewöhnt sein dürften als ich, schliefen
nach halber Stunde die Beine ein. Anschließend spielten seine Studentinnen am Klavier und
auf der Querflöte Stücke von deutschen Komponisten vor und beim anschließenden Sushi-
Essen unterhielten wir uns über Musik: Ich konnte da zumindest mit meinem Wissen über
deutschen Hip-Hop punkten.

Nachmittags bei Herr Dr. Prof. Aoji mit
Teezeremonie und traditionellem Gebäck

Den Sonntag beschließe ich ruhig angehen zu lassen – schließlich erwartet mich eine
anstrengende Woche. Ich streife also (mal wieder) entspannt durch das Viertel ,,America-
Mura“ und schaue mir Second-Hand-Kleidung an. Nach meiner Entdeckung vergangener
Woche (Jacke mit deutschem Bundesadler drauf) ist mein Fund von dieser Woche die
bayrische Trachtenjacke mit Hirschhornknöpfen, die in der ersten Reihe einer Kleiderstange
hängt. Vielleicht finde ich nächste Woche eine Lederhose…

Ich stehe am 25.03. früh auf, schließlich muss ich um 7:30 Uhr meinen Shinkansen Richtung
Tokio bekommen. Mein intuitiver Geistesblitz doch nochmal umzukehren und meinen
Regenschirm mitzunehmen, stellt sich im Nachhinein als einer der schlausten Ideen heraus,
die ich jemals hatte. Denn in Tokio regnet es in Strömen. Deutsch wie ich bin, beschließe ich
dennoch mein Solo-Reiseprogramm, das ich in Osaka akribisch geplant habe, durchzuziehen.
Tagespunkt 1: Besuch des berühmten ,,Meiji-Schrein“. Neben vielen anderen Touristen,
finden sich dort wunderschöne alte Bäume, die Waldluft tut gut. Erst als auch die letzte Faser
meiner dunkelblauen Turnschuhe, Größe 38, von tokiotischem Regenwasser durchdrängt ist,
beschließe ich mein Reise-Programm doch zu ändern.

Meiji-Schrein bei Regen. Den Schrein betrachte ich durch meinen typisch-japanischen,
durchsichtigen Regenschirm, der mit Regentropfen bedeckt ist.

Anstelle des Kaiserpalasts fahre ich in die Shopping-Mall ,,Shibuya 109“. Das sieben-
stöckige Einkaufsparadies ist vor allem bei jungen Japanerinnen sehr beliebt. Die meist stark
geschminkten und Kontaktlinsen-tragenden Mädchen mit kurzen Röckchen decken sich hier
für die neuste Saison ein. Für mich als Turnschuhtourist mit nassen Schuhen und einem
tropfenden Regenschirm, ohne Kontaktlinsen, gibt’s eine neue Hose und weiße Socken mit
Herzen drauf. Als der Regen nachlässt, spaziere ich durch das Viertel ,,Shibuya“ mit seinen
bunten Lichtern und den unzähligen Love-Hotels. Hinauf den sogenannten ,,Spanischen
Hang“ – und ich stehe vor dem ,,Chiyoda Inari Schrein“. Romantisch eingebettet zwischen
dem Liebeshotel ,,Moti“ mit roter Fassadenfarbe und einem Getränkeautomaten steht der
Tempel ruhig da und wartet auf Besucher. Vom Balkon des Hotels kann man übrigens direkt
in den Tempel einsehen – sehr praktisch – wie ich finde: Man kann also ”anschließend”gleich
runterbeten. Nach dem obligatorischen Shibuya-Crossing kaufe ich mir noch Sushi und fahre
mit dem Shinkansen wieder nach Hause. Tokio mag zwar eine coole Stadt sein, dennoch bin
ich nach nur einem Tag dort ziemlich erschöpft. Die ”City” löst in mir Herzklopfen aus, sie
tickt einfach nochmal schneller als Osaka

Tempel zwischen Liebeshotel und Getränkeautomat

Das Gegenprogramm zur hektischen Großstadt liefern mir die folgenden zwei Tage in
,,Wakayama Koyasan“. Ich darf dort privat bei der lieben Familie Yoshimatsu wohnen. Es
sind zwei sehr besondere Tage, wie sich im Nachhinein herausstellen wird. Das Ehepaar,
beide Mitte siebzig, holt mich Dienstag früh am Bahnhof Wakayama ab. Nach einem
gemeinsamen Mittagessen fahren wir mit ihrem Auto zur Burg Wakayama.

Schöne zwei Tage bei Frau und Herr Yoshimatsu, vor der Burg Wakayama

Ich bin jedoch nicht die erste Deutsche, die sich dort einfindet. Carl Köppen (23. August
1833 – 28. Juni 1907) – ein deutscher Militärberater – war bereits vor mir da! Als Angehöriger
des Jägerbataillons Schaumburg-Lippe, der schnell Karriere gemacht hatte, wurde Köppen
eingeladen, in Japan als ausländischer Berater zu unterrichten und die Truppen der Kishū-
Domäne auszubilden. Köppen, der zwischen 1869 und 1871 auf Schloss Wakayama
stationiert war, spezialisierte sich auf den Gebrauch der Doersch- und Baumgarten-
Nadelkanone. Letztere lässt sich im Schlossmuseum besichtigen. Nachdem ich noch Snapchat
mit einem an Deutschland interessierten Ninja ausgetauscht habe, fahren wir weiter in das
,,Tsunami Educational Center“.

Ninja kämpft gegen Fee

Inzwischen hat Regen eingesetzt, im Auto läuft klassische Musik eines amerikanischen
Radiosenders. Das Tsunami Center ist ein Bildungscenter Museum, in dem vor allem
Kindern beigebracht wird, wie man sich im Falle eines Erdbebens und eines folgenden
Tsunamis verhalten muss. Nachdem am Eingang die Straßenschuhe gegen Hausschuhe
getauscht wurden, finden wir uns in einem 3-D Kino wieder. Dort werden Erdbeben und
Tsunami durch sich bewegende Sitze imitiert, untermalt von einem Info-Film. Ich finde das
Rumgewackel meines Stuhls und meine 3-D Brille auf der Nase am Anfang noch ganz lustig,
am Ende verlasse ich weinend den Kinosaal. Mir wird in dem Moment erstmalig wirklich
bewusst, was diese Naturkatastrophen für den Alltag der Menschen bedeuten. Der Film zeigt
eine Familie mit zwei Kindern und wie diese für den Ernstfall geschult wird bzw. wie Eltern
ihre Kinder schulen sollten: Am Wochenende werden gemeinsam die Fluchtrouten
abgegangen und geübt, wie man rennend auf die höchsten Fluchtpunkte gelangt. Infotafeln
weisen den Weg zu den Bergen bzw. den Tsunami-Rettungsstellen. Den Kindern wird von
klein auf antrainiert, diese Strecken im Ernstfall auch alleine bewältigen zu können und nicht
(!) auf die Eltern zu warten. Denn im Falle eines Tsunamis gilt: Jeder ist nur für sich selbst
verantwortlich. Dies erhöht die Überlebenschance aller, da nicht auf andere gewartet wird.
Kommentar des Sprechers aus dem Film: ,,Egal wie klein ein Kind ist, es muss lernen, alleine
zu flüchten, aber in dem Wissen, dass seine Mutter es anschließend beruhigen wird“.
Zusätzlich tragen die Kinder Kontaktdaten bei sich, um wieder mit ihren Eltern zusammen zu
finden. Die Protagonisten des Films sagen häufig den Satz: ,,Ich habe ein Versprechen
gemacht“- er ist eine Art Mantra, und erinnert alle daran, dass sie ein Versprechen gegenüber
ihren Familien gegeben haben, im Ernstfall alleine in Richtung der höher gelegenen
Rettungsstellen zu laufen. Zusätzlich zeigen Schaukästen, was man an Lebensmittel-Vorräten
bei sich haben sollte, welche Gegenstände in einen Fluchtrucksack gehören, wie wichtig die

Gemeinschaft ist (aktives Engagieren in einem Frauen- und Jugendclub wird empfohlen) und
dass man seine Nachbarn drei Häuser rechts und links kennen sollte. Auch erfährt man, wie
ältere Menschen die Berge heraufgeschafft werden können, indem man sie Huckepack trägt.

Schaukästen mit wichtigen Utensilien für den Notfall Bilder von Kindern, die für den
Ernstfall geschult werden

Gewidmet ist das Tsunami Center Hamaguchi Goryō. In den Stunden nach dem schweren
Ansei-Nankai-Erdbeben von 1854 erkannte er die Gefahr eines drohenden Tsunami, und
evakuierte die Bewohner auf einem nahe gelegenen Hügel, auf dem sich der ,,Hiro-
Hachiman-Schrein“ befindet. Das Wissen über den nach einem Erdbeben folgenden Tsunami
war ihm von seinen Vorfahren mitgegeben worden. Da es Nacht war, ordnete er an, die
gestapelten Reisgarben, die nach der letzten Ernte trockneten, in Brand zu setzen. So konnten
mehr als 90 Prozent der Dorfbewohner dem Tsunami entkommen, da sie das Feuer in der
Dunkelheit brennen sahen und wussten, in welche Richtung sie laufen mussten. Der Bericht
über seinen Heldenmut wurde zur Pflichtlektüre in japanischen Lehrbüchern. Nach der
Katastrophe arbeitete Hamaguchi Goryō an der Wiederherstellung der beschädigten Brücke
und baute über vier Jahre lang eine riesige Ufermauer – den Hiromura-Damm. Diese groß
angelegte Maßnahme diente nicht nur dem Katastrophenschutz, sondern sollte auch
Arbeitsplätze für die Dorfbewohner schaffen, die durch den Tsunami ihr Hab und Gut
verloren hatten. Die Kosten für den 600 Meter langen, 20 Meter breiten und 5 Meter hohen
Damm beliefen sich auf umgerechnet 4667 ryō und wurden von Hamaguchi bezahlt, was ihm
den Beinamen ein lebender Gott einbrachte. 88 Jahre später schützte dieser Damm das Dorf Hirogawa vor dem Tsunami des Nankai-Erdbebens. Bis heute werden die Heldentaten von Hamaguchi Goryō mit einem jährlichen Fackellauf im Dorf gefeiert.

Jährlicher Fackelzug zu Ehren von Hamaguchi Goryō

Auf dem Weg zum Haus von Ehepaar Yoshimatsu fahren wir am Meer vorbei. Ruhig
schaukeln kleine Fischerboote auf dem Wasser. Der Himmel ist jedoch schwarz, es beginnt
wieder zu regnen. Die musikalische Untermalung von dramatischer klassischer Musik im
Hintergrund vervollständigen mein Gefühl, wie schnell sich das Wetter hier verändern kann.
Aus der Landschaft ragen in regelmäßigen Abständen Türme mit Alarmsirenen. Am Haus
angekommen kann ich aber durchatmen – es liegt in den Bergen, malerisch eingebettet
zwischen Orangenbäumen. Die Sonne steht tief und taucht die Landschaft in ein wunderbares
Bild. Ich beziehe mein eigenes Gästehaus, in dem schon eine Tatami-Matte bereit liegt. Sogar
ein Notfallknopf wird mir gegeben, es ist also an alles gedacht! Nach dem gemeinsamen
Abendessen darf ich noch den Kimono von Frau Yoshimatsu anziehen. Eher gesagt, sie zieht
diesen mir an. Wie in einem Origami-Faltkurs werde ich Schicht für Schicht Band für Band
wie ein Glückskeks eingepackt. Der ganze Prozess dauert eine halbe Stunde und dabei habe
ich noch nicht einmal den typischen Kimono-Knoten auf den Rücken bekommen. Aus
Zeitgründen wird sich nämlich für eine Schleife entschieden. Die fehlenden Minuten könnten
auch mit dem anstehenden Gebet zusammenhängen – denn nach dem Essen wird sich vor
dem Hausaltar versammelt. Die Gebete, die aus einer Mischung aus Singen, Beten und dem
Anschlagen eines lauten Gongs bestehen, werden den Vorfahren gewidmet. Deren Bilder
stehen auf einer Leiste rechts vom Altar. Besser gesagt: Es sind zumindest diejenigen, welche
man von seinen Vorfahren hat. Mir wird mit meinem Kimono ebenfalls ein Platz zugewiesen
und ich darf dem Gebet beiwohnen. Welch´ eine Ehre! Anschließend werde ich wieder wie
ein Geschenk ausgewickelt und wir sitzen bei Keksen und Orangen noch gemeinsam
zusammen und unterhalten uns über Japan und Deutschland. Großer Renner in Japan ist
anscheinend das Gedicht vom Heidenröslein. Auswendig werden mir ein paar Versen
vorgetragen. Da hat jemand in der Schule wohl mehr aufgepasst als ich: Ich kann mich nur
dunkel erinnern, das von Goethe verfasste Werk gehört zu haben. Zur großen Verwunderung
der Japaner, die große Fans sind…
Wem es auch so geht wie mir: Hier kommt´s (nochmal):
Sah ein Knab’ ein Röslein stehn,

Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön,
Lief er schnell es nah zu sehn,
Sah’s mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Heiden.
Knabe sprach: ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!
Röslein sprach: ich steche dich,
Daß du ewig denkst an mich,
Und ich will’s nicht leiden.
Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Heiden.
Und der wilde Knabe brach
’s Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach,
Half ihm doch kein Weh und Ach,
Mußt’ es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Heiden.

Tags drauf frühstücke ich zusammen mit Frau Yoshimatsu. Sie schaut mir dabei interessiert
zu, wie ich meine Haferflocken, Joghurt und Banane, die ich am Nachmittag davor mit ihnen im Supermarkt kaufen durfte, esse. Zusätzlich reicht sie mir frisch gepflückte Orangen aus
dem Garten. Da sie leider kaum bis kein Englisch spricht und Gleiches für mein Japanisch
zutrifft, haben wir uns leider nicht viel zu sagen. Da mir die Stille etwas unangenehm ist,
zeige ich auf die einzelnen Produkte am Esstisch und frage sie:,,From Japan?“. Sie verneint
oder bejaht meine Fragen. Zusätzlich lächeln wir uns alle paar Augenblicke aufmunternd an –
denn ein Lächeln braucht keine Sprache!

Frühstück mit Frau Yoshimatsu

Anschließend geht die wilde Fahrt, zusammen mit Mozart und Vivaldi, in Richtung
Klosterdorf ,,Koyasan“. Nach Besichtigung des ,,Okunoin“, einem alten moosbewachsenden
Friedhof, und der leuchtend roten ,,Konpon Daito Pagode“ gibt es Ramen-Suppe. Ich
unterhalte mich angeregt und ausgiebig mit Herrn Yoshimatsu über ihre Religion, den
Buddhismus, und ob er an Karma glaubt (ja) und an ein Leben nach dem Tod (ebenfalls ja).
Wie ich auch… Anschließend werde ich am Bahnhof abgesetzt, wo schon mein Zug nach
Osaka wartet. Über den Sitzen zeigen Infotafeln, was im Falle eines Tsunamis gemacht
werden sollte.

Ein Pandabär zeigt, wie man sich aus einem Zug evakuiert

Tsunami hin oder her – es waren zwei aufregende und anregende Tage, die ich so nicht habe
kommen sehen! Frau und Herr Yoshimatsu werde ich mit ihrer großzügigen Gastfreundschaft
für immer in Erinnerung behalten! Aligato Toshitakasan!

Koyasan und seine wunderschönen Tempel

Überwältigt von all den Erlebnissen gehe ich den 28. März ruhig an und besuche einen
Töpferkurs für japanische Keramik, der von einer in Japan lebenden Spanierin geleitet wird.
Ihre Werkstatt befindet sich im Viertel ,,Teradacho“. Dort wohnen fast nur ältere Menschen,
da es ein weniger hipper Stadtteil Osakas ist. Auf dem Weg dorthin flaniere ich über einen
alten Markt, in dem es viele in die Jahre gekommenen Häuser und ursprüngliche Läden zu
sehen gibt. Während ich an meiner Matcha-Trinkschale arbeite, betont Töpfermeisterin Anna
mehrmals, ich sei ein Naturtalent! Schön zu hören! Wenigstens etwas für den Lebenslauf!
Und auch, dass ich eine ursprünglichere Ecke Osakas entdeckt habe, machen die Stunden –
neben einer handgemachten Erinnerung – zu einem besonderen Nachmittag.

Naturtalent beim Töpfern einer Matcha-Trinkschale

Zum Abschluss der Woche macht besagtes Naturtalent (kann dies nicht oft genug betonen…)
einen Ausflug mit dem Rotary-Club Osaka. Morgens um 9 Uhr früh bewegt sich ein Reisebus
in Richtung Himeji-Schloss. An Bord befinden sich 25 Japaner,15 Taiwanesen, 1 Deutsche (in
dem Fall ich) und jede Menge Dosenbier – es verspricht also ein lustiger Tag zu werden.
Beim Blick aus dem Fenster dachte ich kurzzeitig, der Bus hätte die falsche Ausfahrt
genommen: Vor mir ragt Schloss Neuschwanstein in die Höhe. Aber es handelt sich nur um
eine Replik des bayrischen Originals!Japanisches Schloss Neuschwanstein

An der Seilbahn zum ,,Engyoji Tempel“ angekommen, wird sich – typisch japanisch –
ordentlich in Zweier-Reihen aufgestellt, ehe sich der Doppelmayr Lift in Bewegung setzt. Der
fast 1000 Jahre alte Holztempel ist ein imposantes Bauwerk, das zwischen uralten Bäumen
auf einem Berg thront. Drinnen riecht es nach Räucherstäbchen. Auch ich entzünde welche
und bete für eine gute Reise.

Mit Oka vor dem Engyoji Tempel

Weiter geht´s zum Mittagessen. In einem Hotel werden uns verschiedene japanische Gerichte
serviert, dazu Bier, Wein und Sake gereicht. Ich halte mich jedoch zurück, will ich doch noch
das nein, nicht Neuschwanstein, sondern das Himeji-Schloss, besichtigen. Angekommen am
Schlossgarten teilt sich die Reisegruppe auf. Teil 1 geht im japanischen Schlossgarten
Vanilleeis essen, Teil 2 spaziert der Reiseleiterin, ordentlich an der Fahne in ihrer Hand zu
erkennen, in Richtung Schloss hinterher. Im Schloss steht man circa eine Stunde lang und
wartet Meter für Meter bis man endlich im obersten Stockwerk angekommen ist. Es ist heiß
und die Luft schlecht. Im Nachhinein wäre ich, glaube ich, auch lieber bei der Vanille-Eis-
Gruppe mitgegangen…

Japanischer Krieger mit Fee vor dem Himeji-Schloss

Auf der Rückfahrt spielt dann noch der ganze Bus zusammen Bingo. Ein kleiner Bildschirm
zeigt die verschiedenen Zahlen an und eine Musik spielt dazu im Takt. Zusätzlich wird das
Spiel anmoderiert. Toll, was japanische Reisebusse alles können. Nun zur Preisfrage: Was passiert, wenn 25 Japaner,15 Taiwanesen und 1 Deutsche gegeneinander Bingo spielen?
Genau – die Deutsche verliert!!! Und zwar haushoch… nur fünf meiner 22 Bingozahlen auf
meinem Zettel werden überhaupt ausgerufen.

Beim anschließenden Abendessen in einem japanischen Fleischtempel werden verschiedene
Fleischsorten an den Tisch gebracht und auf einer Platte im Tisch gegrillt. Dazu werden
wieder Bier, Sake und Wein gereicht. Was ich an diesem Tag gelernt habe?
1. Taiwanesen sind alle sehr nett und durchaus sehr trinkfest. Ich habe ein paar durchaus
beeindruckende Trinkperformances gesehen.
2. Japaner schlafen leise im Bus, schlafende Taiwanesen können laut schnarchen.
3. Nächstes Mal lieber Vanilleeis in der Sonne wählen als sich den Innenausbau eines dunklen
Schlosses anzusehen.
Nach diesem langen Tag falle ich todmüde um 23:30 Uhr ins Bett. Diesen Ausflug werde ich
so schnell nicht vergessen…!