☆☆☆ Dritter Bericht von Leon Riccius, achtzehnter Stipendiat der Grünwald Stiftung ☆☆☆
In den bisherigen Berichten habe ich vor allem berichtet, welche Orte ich besuchte, an welchen Events ich teilnahm und wie ich meinen Alltag verbrachte. Nach etwas mehr als sechs Wochen des Beobachtens möchte ich mich nun mehr der Japanische Kultur und Gesellschaft und deren Wirkung auf mich widmen.
Ein Thema drängt sich mir besonders auf, da es so häufig zu Tage tritt: Die Sprachbarriere.
Zunächst einmal bin ich ein wenig enttäuscht über meinen bisherigen Fortschritt beim Erlernen der Japanischen Sprache. Bereits in Deutschland hatte ich mit Sprachkursen der TUM begonnen. Insgesamt lerne ich nun seit ca. eineinhalb Jahren Japanisch. Mittlerweile gelingt mir die Kommunikation im Alltag recht gut. So kann ich ohne Probleme Nachfragen beispielsweise beim Einkaufen tätigen oder etwas Smalltalk führen. Bei ungewohnten Gesprächsthemen verstehe ich aber vieles nicht auf Anhieb und muss häufig nachfragen, wodurch ein tiefergehender Austausch auf Japanisch nahezu unmöglich ist. An sich gesehen ist das zwar schade, aber wird erst zum Problem durch die Fremdsprachenkenntnisse der Japaner, die in der Regel noch unter meinen Japanisch Kenntnissen liegen.
Japan ist liegt in ganz Asien im Vergleich der durchschnittlichen Punktezahl beim TOEFL vor Laos auf dem vorletzten Platz, bei den Ausgaben für Englischunterricht aber auf dem ersten Platz. Der Englischunterricht ist in Japan ab der Mittelschule Pflicht. Ich habe mich in letzter Zeit viel darüber informiert und mich bei jungen Japanern erkundigt, warum es eine solche Diskrepanz zwischen dem Aufwand in der Lehre und den tatsächlichen Kenntnissen der Sprache existiert und bin auf einige interessante Erkenntnisse gestoßen:
- Altmodischer Unterricht: Historisch gesehen wird in Japan vor allem die Grammar-Translation-Methode angewandt [Stewart & Miyahara 2011]. Hierbei lernen die Japaner die englische Grammatik und nutzen diese, um englische Texte ins Japanische zu übersetzen. Die weite Verbreitung dieser Methode lässt sich dadurch erklären, dass in den frühen Phasen des Englischunterrichts in Japan häufig nur einige Sachbücher oder Romane auf Englisch vorlagen. Anderes Material zur Gestaltung des Unterrichts waren schlicht nicht verfügbar. Durch Übersetzen ins Japanische wird sicherlich das Verständnis der Sprache verbessert. Der japanische Schüler muss aber selten selbst Texte auf English verfassen oder gesprochene Sprache verstehen. Die Eintrittsexamen an den Universitäten fordern ebenfalls größtenteils nur Kenntnisse der Vokabeln und der Grammatik. Somit hat ein japanischer Schüler auch keinen eigenen Antrieb über das im Unterricht gelernte hinauszugehen.
- Das Inselphänomen: Bereits geographisch weist der Archipel Japan eine gewisse Distanz zu den Nachbarstaaten auf. Besonders politisch hat sich Japan aber lange komplett dem Ausland verschlossen. Bis zur Meiji-Restauration herrschte eine komplette Isolation des Landes. Auch heute noch sind 98% der Einwohner Japans ethnische Japaner. Dadurch kommen Japaner im Alltag sehr wenig in Kontakt mit Menschen, die dem Japanischen nicht mächtig sind. In Japan werden auch fast ausschließlich japanische Medien konsumiert. Zudem gibt es hier eine weitgehend vom Westen unabhängigen Popkultur. Japaner haben nur sehr wenige gesetzlich vorgeschriebene Urlaubstage. Die vielen gesetzlichen Feiertage sind gut über das Jahr verteilt und eignen sich daher nicht für weite Reisen. Somit machen viele Japaner im Inland Urlaub. All das führt dazu, dass man in Japan nur selten mit der englischen Sprache in Kontakt kommt.
- Angst vor Veränderung: Häufig sprechen Japaner dem Englischen den Nutzen ab [Kubota, 2015], obwohl dieser durchaus belegt ist [Morita, 2017]. Es gibt jedoch auch einige, die schlicht aus Überzeugung nicht English lernen wollen. Es gibt die Angst, dass mit einer Verbesserung der Englischkenntnisse die Japanischkenntnisse der Bevölkerung und die Bedeutung der Sprache leiden. Als Beispiel wird hier oft Singapur angeführt, wo Englisch als Amtssprache eingeführt wurde und in der Folge Chinesisch stark zurückgedrängt wurde. Deutlich drastischer formuliert es [Tsuda, 2000]. Er schreibt, dass die Englische Sprache untrennbar mit einem Kulturimperialismus verbunden ist. Wenn also eine bessere Bildung in der englischen Sprache eintritt, leide nicht nur die Japanische Sprache darunter, sonder auch die Kultur und das Wertekodex der Japaner. Die Vertreter dieser These mögen zwar in der Minderheit sein, sie findet erstaunlich weitreichende Akzeptanz.
Bereits vor meiner Ankunft in Japan wurde ich häufig von der hohen Sprachbarriere gewarnt, wollte dem aber nicht so richtig glauben schenken. Nach einiger Zeit in diesem Land muss ich aber eingestehen, dass diese Barriere sehr wohl existiert und zudem enorm hoch ist. Besonders im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokyo sehe ich diesen Zustand sehr kritisch. Ich hoffe, dass Japan sich dieses Problem eingesteht und aktiv Maßnahmen ergreift. So gibt es mit dem MEXT zwar ein Program mit dem Ziel Muttersprachler mehr in den Englischunterricht an Japanischen Schulen zu integriert. Jedoch sind dies meist nur Lehrassistenten und haben in der Praxis wenig Einfluss auf die Gestaltung des Unterrichts. Hier sehe ich noch großes Potential, da ich davon ausgehe, dass Japan als Gesamtpaket reizvoll genug ist, um die entsprechenden Fachkräfte ins Land zu locken. Zudem wünsche ich mir einen Kulturwandel bezüglich der Stellung der englischen Sprache. Ohne einen eigenen Antrieb der Schüler und Studenten, die Sprache zu erlernen, ist eine Verbesserung der Situation meines Erachtens nicht in Sicht. Die Komplexität und geringe Verbreitung der japanischen Sprache führen dazu, dass nur wenige Menschen weltweit diese Sprache lernen. Nun habe ich das Glück im Umfeld der Grünwald Stiftung viele Japaner kennengelernt zu haben, die über ausgezeichnete Deutschkenntnisse verfügen. Darüber hinaus hat sich ein tiefergehender und bereichernder Austausch bisher als schwierig erwiesen.
Morita, L. (2017). Why Japan needs English. Cogent Social Sciences, 3(1), 1399783. https://doi.org/10.1080/23311886.2017.1399783
Kubota, R. (2015). Paradoxes of learning English in multilingual Japan: Envisioning education for border-crossing communication. In I. Nakane, E. Otsuji, & W. S. Armour (Eds.), Languages and identities in a transitional Japan: From internationalization to globalization (pp. 59–77). New York, NY: Routledge.
Stewart, A., & Miyahara, M. (2011). Parallel universes: Globalization and identity in English language teaching at a Japanese university. In P. Seargeant (Ed.), English in Japan in the era of Globalization (pp. 60–79). Basingstoke: Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1057/9780230306196
Tsuda, Y. (2000). Eigo Beta no Susume [Encouragement of Bad English]. Tokyo: Wani no NEW Shinsho.