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☆☆☆Erster Bericht von Felicitas Künlen, dreiundzwanzigste Stipendiatin der GRÜNWALD STIFTUNG☆☆☆

Vom oberbayrischen Grünwald in das japanische Grünwald sind es 9.260,84 km (Luftlinie wohl gemerkt). Oder knapp 15 Stunden Flugzeit mit der japanischen Fluggesellschaft ANA. So werde ich schon auf dem Hinflug optimal auf meinen bevorstehenden drei-monatigen Japanaufenthalt mit der Grünwald-Stiftung eingestimmt.

Angefangen mit der Sicherheitskontrolle in München, wo ich mich auf einmal in einer großen japanischen Schülergruppe in Anzug und Krawatte auf dem Heimflug wiederfinde, gefolgt von japanischen Toiletten im Flieger, Flugbegleitern, die sich (typisch japanisch) vor Beginn des Services vor uns Passagieren tief verbeugen oder meine Manga-Lesenden Mitreisenden. All diese Beobachtungen verkürzen mir den Hinflug am 06.03.2024 doch erheblich. Nach einem Stopp-Over in Tokio-Haneda wurden ich und drei schwere Koffer schließlich am 07.03.2024 müde, aber glücklich von Herrn Okamoto am Flughafen Osaka-Itami abgeholt.

Ankunft am Flughafen Osaka

An dieser Stelle darf ich dem Leser verraten, dass ich bereits schon mal in Japan war: knapp 6 Wochen nach Fukushima, im Jahr 2011, und erst 12 Jahre alt. Zusammen mit meiner Familie durften wir bei Herrn Okamoto wohnen und haben Japan bereist. Nun, knapp 13 Jahre später darf ich alleine, als 23. Stipendiatin, nach Osaka zurückkehren. Vielen herzlichen Dank, dass ich ausgewählt wurde! Es wird somit spannend sein zu sehen, ob und inwiefern sich das Land verändert haben wird.

Nun knapp am Ende der ersten Woche habe ich bereits viel erleben dürfen – angefangen mit vielen schönen Abendessen zusammen mit Frau und Herr Okamoto (Okonomiyaki, Sushi, Ramen & Chinesisch). Für die restlichen Mahlzeiten spaziere ich so gerne wie auch neugierig durch den in der Nähe gelegenen Supermarkt, wo sich eine Vielzahl toller Produkte finden lässt: von frisch zubereiteten To-Go-Gerichten bis zu einer großen Auswahl an Fertigramen in bunten Papp-Bechern über Hello Kitty-Spießchen für die Bento-Boxen der japanischen Schulkinder. Alles kann man finden-selbst Paulaner Weißbier (wurde von mir nicht gekauft) und Knax Hengstenberg Gewürzgurken (wurden von mir gekauft) befinden sich im Sortiment.

Bento-Boxen Zubehör

Am liebsten gehe ich allein auf Entdeckungstour in der mir noch großen fremden Stadt. Denn sobald man seine babyblaue ICOCA Karte mit dem Schnabeltier darauf mit Geld aufgeladen hat, steht einem praktisch ganz Japan (mehr oder minder) offen. So führt mich meine erste Fahrt Richtung Stadtmitte, um am Schalter Shinkansen-Tickets für weitere geplante Touren nach Tokio und Hakuba zu erwerben. Wohin der Sumo-Ringer wollte, der hinter mir an der Schlange sein Ticket kaufte, weiß ich leider nicht. Zumindest erinnerte er mich dran, dass ich gerade in Japan bin.

Auch der Besuch eines Schweine-Cafés erinnerte mich daran. Am 10.03. entdeckte ich das sogenannte ,,Hipster-Viertel“ America-Mura – eine Mischung aus Straßenkunst, Streetfood, kleinen unabhängigen Galerien und Cafés. In Retroläden werden gebrauchte Kleidung, Bücher und Schallplatten verkauft. Lieblingsfund im Second-Hand-Klamottenladen: eine dunkelblaue Jacke mit dem Deutschen Bundesadler und einem Bundeswehr-Schriftzug. Um möglichst jede Skurrilität mitzumachen, die Japan zu bieten hat, ging ich in ein “Mipig Café”. Während man an seinem Automaten-Grüntee (im Eintrittspreis von 11 Euro inkludiert) nippt, wackeln fröhlich quiekend Mini-Pigs, also kleine Hausschweine um einen herum. Diese legen sich dann auf eine Decke, die man über seine Beine gebreitet hat, und lassen sich streicheln. Ein lustiges Erlebnis, jedoch sind mir kleine Hunde dann doch lieber…diese haben zumindest keine harten Hufe, die einem in das Bein drücken.

Vintage-Jacke mit Deutschem Bundesadler

Besuch eines Schweine-Cafés

Am Tag drauf  stand der obligatorische Besuch des Bürgermeisters der Stadt Suita an. Neben der Übergabe von (m)einem Geschenk aus Bayern und dem Tausch von Visitenkarten (Herr Goto hat eine für deutsche Augen wirklich außergewöhnliche Visitenkarte –  eine Zeichnung von ihm, wie auf seinem Kopf eine Katze thront), wurden Fotos gemacht und sich über Skifahren und Deutschland unterhalten. Ein sehr netter Besuch im Rathaus von Suita, vor dessen Pforte die Flaggen heute auf Halbmast wehen – Grund  ist der 13. Jahrestag von Fukushima. Abends beim gemeinsamen Essen mit Frau und Herr Okamoto laufen alte Aufnahmen im Fernsehen, die die Katastrophe von damals zeigen.

Besuch im Rathaus von Suita

12.03. – diesen freien Tag nutze ich erneut für eine Exkursion rund um Osaka. Aufgrund des Regens entschied ich mich, erstmal die Osaka Station City mit ihren unendlich vielen Gängen und der dazugehörigen Shopping-Mall zu erkunden. Streetfood und Klamotten – wenngleich mein Fokus eher auf Essen als auf Klamotten lag, ödet mich beides irgendwann an. “Japan ist ein Land der Kultur und Religion”, sage ich mir und entschließe mich zum Besuch des naheliegenden Tempels ,,Tsuyuten Jinja (Ohatsu Tenjin)“. Der kompliziert klingende Name wird als “Liebestempel” übersetzt. Eingebettet zwischen monströs großen und grauen Hochhäusern wirkt er wie eine Oase, überall hängen pinke Herzen, die mit Sprüchen versehen sind.  Paare gehen hierher, um für immerwährende Liebe zu beten. Deutsche Touristen gehen hierher, um sich ihre Zukunft an einem 100 Yen Automaten vorhersagen zu lassen. Aus einer roten Box flattert die verheißungsvolle Botschaft heraus… allerdings in meinem Fall eher weniger verheißungsvoll. Das kleine Zettelchen mit der Nummer 13 (!) verkündet mir für die Zukunft unter der Rubrik “Reisen”:,,Du wirst auf deiner Reise viel Geld verschwenden. Sei so sparsam wie möglich“. Beim Punkt “Umzug” empfiehlt mir mein Orakel ,,Du hattest es besser, wo du gewesen bist“ und unter dem Feld ,,Geschäft“ steht am Schluss nur ,,You´ll be a loser“. Wunderbar motivierende Worte für einen Dienstag-Nachmittag im regnerischen Osaka, wie ich finde. Auf dem Nachhause-Weg nehme ich dann noch aus Versehen die U-Bahn anstelle der S-Bahn und komme am andere Ende des Stadtviertels heraus. Zu allem Überfluss verpasse ich um drei Sekunden den Bus. Das ist der Nachteil der japanischen Pünktlichkeit: Er wartet nicht mal auf dahergelaufene Ausländer und ich muss mir, um bei 8 Grad nicht 40 Minuten auf den nächsten Bus warten zu müssen, ein Taxi nehmen. Soviel zu Punkt 1, ,,Du wirst auf deiner Reise viel Geld verschwenden“…Zukunftsvorhersage im Liebestempel

Immerhin kommt mir beim Warten auf das Taxi ein Mann mit einer Eule auf dem Kopf vorbei. Das hebt zumindest die Stimmung…Ein Mann führt seine Eule Gassi

Eine weitere Kuriosität, die mir in Japan immer wieder auffällt, ist die schier unzählbare Anzahl an Warnhinweisen. Alleine in meiner Wohnung konnte ich bereits acht Schilder entdecken, die mich z.B. beim Duschen davor warnen, dass das Wasser heiß aus der Leitung kommen könnte, FRAU sich am Klappstuhl die Finger einzwicken könnte oder dass man nicht auf den Herd fassen soll. Ob es wohl auch ein Warnhinweis gegen einen Warnhinweis gibt? Wer weiß, in Japan gibt es bekanntlich mehr, als der Westeuropäer jemals geahnt hätte.Warnung in meinem Spülbecken und an meiner Badtür

Am 13. März erwartete mich dann ein sehr nettes Abendessen mit der Generalkonsulin Melanie Saxinger. Bei ihr zuhause tischte ihr Ehemann Friedrich Rahmschwammerl mit Semmel- und Spinat-Knödel auf, gefolgt von einem Kaiserschmarrn. Trotz der Vorzüge der japanischen Landesküche genieße ich die Mahlzeiten sehr, obwohl sie in mir ein wenig Traurigkeit auslösen. Ob es ein Gefühl von Heimweh ist oder ich einfach nur das gewohnte Essen in der Ferne vermisste? Wer weiß… zumindest lenkt mich das Bügeln meines Dirndls und das Packen meiner Skisachen am späteren Abend davon ab.Abendessen bei Generalkonsulin Melanie Saxinger und ihrem Partner Dr. Friedrich Kruse

Bevor es zu meinem Skiwochenende nach Hakuba geht (was zugegeben nicht ganz günstig war, Stichwort:,,Du wirst auf deiner Reise viel Geld verschwenden. Sei so sparsam wie möglich“), stellte ich mich am 14.03. dem Rotary Club Suita vor. Meinen vorab akribisch vorbereiteten Vorstellungstext beginne ich mit den japanischen Sätzen: “watashi no namae wa fe rishi tas desu”  – alias “mein Name ist Felicitas” und einem “mungen shusshin desu”, was übersetzt heißt “ich komme aus München”. Die leicht verwunderten Blicke der mir gegenüber sitzenden Mitglieder deuten daraufhin, dass ich definitiv noch an meiner japanischen Aussprache feilen muss… Immerhin schmecken die Bento-Boxen, die verteilt werden, äußerst gut.Zu Gast im Rotary Club Suita

Zurück zu Hakuba: Hakuba ist ein bekanntes Skigebiet in den nördlichen japanischen Alpen in der Präfektur Nagano. Hakuba erlangte internationale Bekanntheit, als es während der Olympischen Winterspiele 1998 mehrere Veranstaltungen ausrichtete, darunter Skispringen und Langlauf. Hört sich in der Theorie gut an, alleine die Hinfahrt ist jedoch eine halbe Weltreise – nicht nur aus dem japanischen Grünwald. Nach knapp 6 Stunden Zugfahrt (von Shin-Osaka nach Nagoya, Umstieg in Matsumoto und in Shinano-Omacho und Ankunft in Hakuba) erreichte ich schließlich den bekannten Wintersport-Ort. Die Fahrt ging mitten über das japanische Land, vorbei an kleinen Dörfern, Fabriken, kleinen Tempeln und Friedhöfen, immer näher in Richtung Berge. Anhand der Fahrtlänge könnte man meinen, ich wäre am Rand der Welt, wo sonst kaum jemand hinkommt– aber falsch gedacht: In Hakuba wartet schon eine Menge australischer Touristen in kurzen Hosen, die Berge zu stürmen. Auf meine Frage, warum sie 10 Stunden Flug auf sich nehmen, um dann in Japan Ski zu fahren (könnte man übrigens in Neuseeland auch), erhalte ich nur die Antwort ,,because of the culture“. Wie viel ,,japanese culture“ man zwischen Piste und den unzähligen Pasta-, Pizza- & Burgerläden in Hakuba mitbekommt, bleibt jedoch fraglich. Auch sonst zieht der Skiort fast nur Ausländer an-meine Skisachen werden mir von einem Engländer ausgeliehen, der aufgrund fehlender Berge in seinem Heimatland nach Japan gezogen ist.

Ein weiterer Interessanter Fakt: Es gibt hier Affen. Während man beim Skifahren in Europa Affen noch am ehesten in menschlicher Form auf der Skipiste antrifft, gibt es in Japan den Japanmakak oder auch Schneeaffe genannt. Besagter Schneeaffe jagte mir Samstagfrüh einen gehörigen Schrecken ein, als er interessiert in mein Hotel-Fenster schaute, während ich gerade meine Skihose anziehe. Um mein Skifahr-Erlebnis kurz zuhalten: Schnee nur bis mittags gut, Hütten leider relativ uncharmant (Ramensuppe anstelle von Kaspressknödelsuppe) und auch die Skilifte sind eher ein Überbleibsel aus 1998 als neue Technik, wie man sie in Japan eigentlich gewohnt ist. Trotz allem taten mir nach jetzt schon knapp 2 Wochen Großstadt Natur und Sonne sehr gut. Und der Skipass kostet nur 30 Euro!

Zum Schluss ist mir aber noch eine schöne Geschichte passiert, die ich dem Leser nicht vorenthalten will und die dieses Wochenende definitiv zu etwas Besonderem gemacht hat: Während einer Abfahrt stürzte vor mir eine Japanerin. Ich sammelte also ihre Skier ein und half ihr diese wieder anzuschnallen. Da es sich um eine extrem steile Piste handelte, taten wir beide sicher 10 Minuten rum, bis sie schlussendlich wieder parat stand. 2 Stunden später – ich sitze fröhlich in meinem Skilift und will meinen Rucksack  verschließen, ich hatte gerade aus meiner Trinkflasche getrunken , als mir (der Albtraum eines jeden Skifahrers, der mir zum Glück in meiner Skifahrer-Karriere bisher erspart geblieben ist), – o Schreck – meine Stecken  in die Tiefe fallen. Vor lauter Rumhantieren hatte ich es sogar erst später bemerkt, dass sie fehlen…

Sofort fuhren beim Ausstieg zwei Japaner auf mich zu, sie waren hinter mir im Lift gesessen, um mir auf Japanisch den genauen Ort bzw. Masten zu sagen, unter dem meine 4800 Yen teuren Leihstecken abhanden gekommen sind. Prompt in einem abgesperrten Bereich unterhalb des Liftes! Die beiden freundlichen Herren warteten am Rand der Piste, riefen mir motivierend ,,Hay“ zu und deuteten mit der Hand zu besagter Stelle. Unter ihren wachen Augen und des gesamten Liftes konnte ich somit endlich wieder meine Stecken einsammeln (peinlich!). Warum ich von diesem Erlebnis hier erzähle? – Nun ja, weil ich nun mal an Karma glaube. Und Karma funktioniert, wie man sieht. Ich half der Japanerin und die Japaner halfen mir!

So karmisch war auch am nächsten Tag das Auschecken aus dem Hotel: Der Rezeptionist zog unvermittelt einen Briefumschlag unter dem Tresen hervor, in dem sich -oh Wunder-, ich hatte es selbst (noch) nicht bemerkt, dass sie weg war – meine Kreditkarte befindet. Fein säuberlich stand auf dem Umschlag geschrieben: ,,Credit Card-Felicitas Künlen-Left in the Pub“. Ich hatte sie im Restaurant liegen gelassen. Freundlich und ehrlich wie die Japaner sind, hatten sie diese in das Hotel getragen, nicht wissend, ob ich dort überhaupt wohnen würde.

Skifahren in Hakuba

Blick des Affens, als ich filme und mich vor ihm laut aufschreiend eschrecke – der Affe hat sich genauso erschrocken, glaube ich…

Sonntag Abend (17.03) erwartet mich dann noch ein wunderbares Abendessen mit 12 Gängen. Viel Essen-nette Gespräche und bald kommt die Kirschblüte-ich glaube mir gefällt´s ganz gut hier!Abendessen mit Frau und Herr Dr. Prof. Aoji, Frau Wada, Frau Ikawa, Frau und Herr Shinyo sowie Frau und Herr Okamoto.

13 Jahre zuvor-gleiches Restaurant. Damals mit meiner Familie.