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☆☆☆ Vierter Bericht von Christina Neumayer, zwanzigste Stipendiatin der Grünwald Stiftung ☆☆☆

Die ersten zwei Monate meines Aufenthalts in Japan sind schon vorbei und ich weiß, dass ich das Land und die Kultur, insbesondere die Ruhe und Gelassenheit, die sich bei so vielen Dingen offenbart, vermissen werde.

In den letzten Tagen machte ich weitere, einmalige, sehr spannende und prägende Erfahrungen: So lernte ich zum Beispiel die Schönheit der japanischen Küche bei einem Bento Kochkurs in Kyoto kennen. Wir bereiteten viele, kleine Spezialitäten vor, die man dann zusammen in einer Bento Box servierte. Der Begriff Bento bedeutet „Essen zum Mitnehmen“. Bento-Boxen wurden vor langer Zeit in Japan erfunden, um Essen auf Reisen mitnehmen zu können. Heute ist das Bentō generell eine in der japanischen Küche weit verbreitete Darreichungsform von Speisen, bei der in einem speziellen Kästchen mehrere Speisen durch Trennwände separiert sind. Ich lernte, wie man Dashi (japanischer Fischsud, der als Basis für fast alle Gerichte genutzt wird) zubereitet und kochte eine traditionelle Miso Suppe (bestehend aus dem Dashi und Sojabohnenpaste). Auch machten wir Teriyaki (teri – glänzend, yaki – gegrillt) Chicken, Sushi rolls (für die erfolgreiche Zubereitung von Sushi habe ich hilfreiche Tipps bekommen), Spinat Gomaae und meinen Favoriten: Tempura (frittiertes Gemüse, Scampi o.Ä.).

Beim Kochen lernte ich viel über das Land und seine Kultur. So ist es bei der Zubereitung der Speisen sehr wichtig, die Zutaten sanft und wertschätzend zu behandeln. Den Spinat, beispielsweise, rieben wir per Hand und sanftem Druck mit der Soße ein. Auch bei der Präsentation der Speisen wird besonders auf die Ästhetik Acht gegeben – mit sehr viel Ruhe, Hingabe und Mühe positionieren wir das Gekochte auf unseren Tellern. Der Kochkurs zeigte mir, wie schön es ist, mit den zubereiteten Gerichten in Einklang zu sein und ihnen Dankbarkeit entgegenzubringen. Essen wird zelebriert, wertgeschätzt und hat nicht nur den Zweck, satt zu werden.

Daher sagt man in Japan auch bevor man isst: Itadakimasu (頂きます ). Das Wort hat seinen Ursprung im japanischen Buddhismus, der den Respekt vor allem Lebendigen lehrt. Dieses Denken erstreckt sich auch auf die Mahlzeiten in Form von Danksagungen an die Pflanzen, Tiere, Bauern, Jäger, Köche und allem, was dazu beigetragen hat.

Unglaublich, was man in einem „einfachen“ Kochkurs alles für ein achtsames Leben lernen kann.

   Bento Kochkurs Kyoto

Doch nicht nur der Kochkurs lies mich in die Spiritualität und Harmonie des japanischen Lebens eintauchen. So nutzte ich auch die Möglichkeit, an einem Aikido Kurs teilzunehmen. Aikido, ist eine seit dem 12. Jahrhundert bekannte Art der Selbstverteidigung und erhielt seine heutige Form durch Ueshiba Morihei (1883 -1969). Der Name Aikidō wird aus drei sinojapanischen Schriftzeichen geformt (合気道; Ai „Harmonie“, Ki „Lebensenergie“, Dō „Lebensweg“) und kann daher in etwa als „Der Weg der Harmonie im Zusammenspiel mit Energie“ übersetzt werden. Aikidō-Techniken zielen darauf, Angriffe durch die Kontrolle ihrer Energie abzuleiten also durch die Weiterleitung ihrer Kräfte abzuwehren. So gelingt es einem, ganz ohne die Verwendung eigener Kraft, den Gegner zu überlisten. Aikido wird auch die „sanfte Kampfkunst“ genannt und basiert zwar auf dem Kampf, konzentriert sich aber im Wesentlichen auf Bewegung, Fluss, Harmonie und meditativer Konzentration. Das Zusammenspiel von Atmung, Taktik und einem Gefühl für die Übertragung von Kräften bringt einen hier zum Ziel. Während des Trainings zeigte sich Ruhe und Kraft zugleich. Durch die bewusste Atmung und Bewegung konnte ich die natürlichen Kräfte spüren und in meine Bewegungsabläufe integrieren. Der Ansatz des Aikido lässt sich generell in der Lebenseinstellung der Japaner gut wiederfinden: mit Ruhe und meditativer Kraft lassen sich einige Dinge deutlich besser und mit weniger Stress lösen. Ich kann jedem nur empfehlen, diese Sportart einmal auszuprobieren – sie ist wirklich beindruckend.

   Aikido

Weitere kulturelle Erlebnisse hatte ich in Kyoto und Koyasan. Am 22. Oktober lud mich Herr Aochi wieder zu sich nach Hause ein und ich durfte an einer traditionellen Teezeremonie teilnehmen. Staubfein gemahlener Matcha-Tee wird hier in einem streng festgelegten Ritual mit wenig Wasser zu einem schaumigen Getränk aufgeschlagen und in förmlicher Runde getrunken. Nicht nur bei der hingebungsvollen Zubereitung des Tees, sondern auch beim Trinken selbst empfinde ich große Spiritualität, Ruhe und Dankbarkeit. Die Gastgeberin dreht beim Servieren die Keramikschale so, dass eine “Schauseite” zum Gast zeigt. Bevor man trinkt, wendet man sich mit einer kurzen Verbeugung den anderen Gästen zu und aus Höflichkeit und Dankbarkeit dreht man nun die schöne Seite der Teeschale genau in die Gegenrichtung, zum Gastgeber bzw. wieder von sich selbst weg. Auch bei diesem Ritual empfinde ich die unglaubliche Hingebung und Ruhe, mit der die Japaner Dinge angehen.

Am selben Tag fand in Kyoto auch das Jidai Madsuri, das Fest der alten Zeiten das erst 1895 eingeführt wurde und Kyotos lange Geschichte zelebriert, statt. Das Fest gedenkt mit einem großen Umzug in historischen Kostümen der Stadtgründung von 794. Die Kostüme der Paradenteilnehmer erinnern an die großartige Geschichte Kyotos, beginnend bei der Meiji-Zeit bis hin zur Heian-Zeit. Die ganze Stadt Kyoto feierte und es machte großen Spaß mit Herrn Aochi, seiner Familie und den Studentinnen der KPU (Kyoto Präfektur Universität) dabei zu sein.

Mit Frau Wada von der japanisch-deutschen Gesellschaft besuchte ich den heiligen Berg Koyasan, die letzte Ruhestätte von Kobo Daishi, einem der größten buddhistischen Heiligen Japans und religiöses Zentrum der Shingon Schule (807 gegründet). Der Koyasan ist seit 2004 UNESCO Weltkulturerbe und mit Dutzenden von Tempeln das wohl bedeutendste buddhistische Pilgerziel des Landes. Kobo-daishi (774-835), eigentlich Kukai, verfasste schon mit 24 Jahren das „Sangoshiiki“, eine vergleichende Studie über Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus, mit 25 Jahren wurde er Mönch und begleitete eine kaiserliche Gesandtschaft nach China, wo er entscheidende Impulse erhielt (er studierte hier das esoterische Vajrayana bzw. Tantra Buddhismus). Er brachte nach seinem Chinaaufenthalt viele technologische und medizinische Neuerungen sowie eine neue Strömung des Buddhismus nach Japan. 806 wurde er Abt im Todaiji Tempel in Nara und erhielt anschließend (816) die Erlaubnis, ein Kloster auf dem Koyasan zu errichten, um seine Lehre des esoterischen Buddhismus zu verbreiten. Der Ort ist sehr mystisch und wunderschön zugleich. Man spürt die Spiritualität in der Luft.

Außerdem besuchte ich mit Herrn Fukuda, einem ehemaligen Panasonic Kollegen und Freund von Herrn Okamoto eine weitere, heilige Stätte des Buddhismus: Den Hiei-zan (jap. 比叡山), einen 848m hohen Berg in der Nähe von Kyōto. Hier gründete Saichō (ein buddhistischer Mönch) 788 mit dem Enryaku-ji die buddhistische Tendai-Schule – ebenso, wie Kobo Daishi, brachte er diese Strömung aus China nach Japan. Auch hier habe ich den ganzen Tag sehr ruhig und spirituell empfunden, trug dieses Gefühl mit nach Hause und schlief abends tief entspannt ein.

Da ich die letzten Tage schon viele Berge bestiegen hatte, entschloss ich mich auch noch den Rokko-san (931m, direkt in Kobe) zu entdecken. Zusammen mit Herrn Bessho besuchte ich Art meets Rokko, eine Initiative, bei der im gesamten Gebiet des Rokko Kunstwerke und Installationen aufgebaut sind, die man zu Fuß besichtigen kann und gleichzeitig einen wunderbaren Blick auf Kobe genießen kann. Es war ein wunderschöner Tag.

Zudem genoss ich die Aussicht vom Rokko beim deutschen Weinfest der roten Rose. Wir probierten mehrere deutsche Weine (die Japaner lieben deutsche Weine!) und die Aussicht auf die Stadt wurde mit jedem Schlückchen noch viel schöner.

Von Herrn Okamoto wurde ich eingeladen, einen Kimono anzuziehen. Eigentlich bedeutet das japanische Wort Kimono (着物) wörtlich übersetzt nur “Kleidungsstück”. Der Begriff wird etwa seit dem 8. Jahrhundert für ein besonderes Kleidungsstück verwendet. Der heutige Kimono entstand in der Heian-Zeit (794-1192). Seitdem ist die Grundform des Kimonos weitgehend unverändert geblieben: ein T-förmiges, gerades Gewand, das bis zu den Knöcheln reicht, ein Kragen und weite Ärmel. Wenn man die Arme waagerecht von sich streckt, fallen die Ärmel vom Handgelenk bis etwa zur Hüfte (bei einigen Modellen können die Ärmel sogar fast den Boden berühren). Das Gewand wird um den Körper gewickelt, wobei die linke Seite immer über der rechten liegt. Der Kimono wird durch einen schärpenartigen Gürtel, den Obi, zusammengehalten. Er wird auf dem Rücken geknotet. Zu einem Kimono gehören neben einem sehr eng geschnürten Unterkleid auch der Obi-Gürtel, Zori-Sandalen und verschiedene Accessoires. Um ihn richtig anzuziehen, braucht man eine Menge Übung oder die Hilfe einer Expertin. So half mir die Frau Matsumoto eines ehemaligen Panasonic-Kollegen von Herrn Okamoto, denn die einzelnen Schritte zum richtigen Anziehen eines Kimonos sollten geübt sein! Heutzutage werden Kimonos nur noch zu besonderen Anlässen getragen, aber die Schönheit des Kleidungsstücks und die Qualität der Materialien/Stoffe sind beachtlich.

Weiterhin nutze ich die Zeit, um noch mehr in Osaka und Kyoto zu erleben. Mit den Studierenden der KPU besuchte ich beispielsweise das Kunstmuseum in Kyoto zu einer Sonderausstellung von Andy Warhol. 1956 sowie 1974 besuchte der Künstler das Land, die Ausstellung zeigt einige Zeichnungen die der Künstler während seiner Reise durch Japan schuf, z.B. Zeichnungen von Ikebana. Generell wurde seine Kunst sehr von der japanischen Kultur und Ästhetik beeinflusst; zum Beispiel kommt die Pop Art Blume aus seiner Zeit in Japan. Auch brachte Andy Warhol seine Begeisterung für japanisches Essen in die USA und half dabei, diese Szene in New York City groß werden zu lassen.

Zusammen mit Herrn Okamoto ging ich außerdem ins Panasonic Museum, um über die Firmengeschichte und den Gründer Konosuke Matsushita mehr zu erfahren. Mich beeindruckt, wie fortschrittlich und innovativ Konosuke Matsushita bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gedacht hat und sein Unternehmen betrieben hat. Grundeinstellungen, wie die stakeholder-Perspective, den Ansatz, dass Unternehmen auch eine soziale Verantwortung haben und im Sinne ihrer Mitarbeiter und anderen stakeholdern funktionieren sollten, sowie Themen wie „work-life-balance“ und vor allem die Bedeutung und Wichtigkeit von lebenslangem Lernen, sind heute aktueller denn je und in der Firmengeschichte von Panasonic fest verankert.

Der Besuch bei Panasonic hat mein Interesse geweckt, noch mehr über Wirtschaft und Unternehmen in Japan zu lernen. Dank Herrn Okamotos beeindruckendem Netzwerk erhielt ich daher einen ganzen Tag Unterricht bei Herrn Mizuno, um über Business und Management in Japan zu diskutieren und verschiedene, kulturelle Einflüsse in einem globalen Kontext zu analysieren.

Außerdem wurde ich von Herrn Nicolas Brabeck, den ich beim Empfang zum Tag der deutschen Einheit kennengelernt habe, zu MAN Energy Solutions nach Kobe eingeladen und erhielt so einen Einblick in das Business einer deutschen Firma in Japan.

Die ersten zwei Monate sind vorbei und eigentlich merke ich erst jetzt so richtig, wie sehr das Land Japan mich mit seiner  meditativen, spirituellen Lebensart beeindruckt und prägt. Diese basiert auf mehreren Tausend Jahren Tradition und ist tief in der Religion verwurzelt, offenbart sich aber gleichzeitig im Alltag und bei so vielen Anlässen und lebt (Kochen/Essen; Sport, aber auch im Supermarkt, in dem die Kassiererin die Haferflocken und Paprikas nicht „hinterherwirft“ sondern diese liebevoll und mit großer Ruhe (auch während der Rush hour) in einen Korb einpackt). Auch das werde ich definitiv vermissen.