☆☆☆ Fünfter Bericht von Christina Neumayer, zwanzigste Stipendiatin der Grünwald Stiftung ☆☆☆
Der letzte Monat dient plangemäß dazu, noch weitere Orte und Städte in Japan kennenzulernen. Ich konnte eine Reise mit meinen Eltern und meinem Freund machen, was aufgrund der Covid-bedingten Einreiserestriktionen lange nicht sicher war. Seit 11. Oktober dürfen Touristen wieder nach Japan einreisen und an einigen Orten, die wir besuchten, war es auch entsprechend voller – insbesondere im Vergleich zu meinen Erfahrungen in den vorherigen Wochen, in denen ich häufig die einzige „Westliche“ war und stets besonders auffiel. Um den Tourismus noch weiter anzukurbeln, unterstützt der japanische Staat außerdem Inlandsreisen seiner Staatsbürger finanziell. Es war eine neue Erfahrung, die UNESCO Weltkulturerben und die Städte gefüllt mit kulturell interessierten Menschen zu sehen.
Herr Okamoto nahm sich die Zeit, gemeinsam mit mir, meine Eltern und meinen Freund am Flughafen ITAMI abzuholen. Bereits in den ersten Minuten erlebten die Gäste die außerordentliche Gastfreundschaft von Herrn Okamoto und spürten, wie wundervoll es ist in einem fremden Land anzukommen und von Freunden so herzlich empfangen und aufgenommen zu werden.
Ankunft meiner Eltern in Osaka
Herr Okamoto lud uns am nächsten Abend zu sich nach Hause sein. Eine japanische Köchin, die lange in Italien gelebt hat, kochte eine interessante und sehr wohlschmeckende Mischung japanischer und italienischer Gerichte. Das Zusammentreffen meiner japanischen und deutschen Familie war sehr unterhaltsam und herzlich, denn auch wenn die beiden Länder sehr weit auseinanderliegen, gibt es eine enge Verbindung zwischen den Kulturen und Menschen und ich freue mich, diese Verbindung an diesem Abend noch mehr gestärkt zu sehen. Wir haben viele verschiedene Themen aus Wirtschaft und Politik, aber auch persönliche Anekdoten ausgetauscht, was uns für immer in guter Erinnerung bleiben wird.
Abendessen bei Familie Okamoto
Von Osaka aus machten wir zunächst Ausflüge nach Hiroshima, zum Schloss Himeji und nach Nara. Danach ging es nach Kyoto und über Hakone (beim Mount Fuji) weiter nach Tokio von wo wir noch einen Tag nach Nikko fuhren. Die gesamte Reise konnten wir sehr komfortabel mit dem Shinkansen erledigen, der uns stets pünktlich und sehr schnell von A nach B transportierte. Jedes Mal, wenn ich mit dem bullet train reise bin ich begeistert, wie reibungslos und gut organisiert der Schienenverkehr in Japan funktioniert und auch meine Familie war begeistert. Herr Okamoto lud uns zum Abschluss der Reise erneut zu einem japanischen Essen, dieses Mal in den exklusiven Esquire Club in Osaka ein, mit Blick über die Stadt, in dem er seit einigen Jahren Mitglied ist. Wir philosophierten unter anderem über die Wichtigkeit von interkulturellem Austausch für den Weltfrieden. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie wichtig dieser von der Grünwaldstiftung organisierte Austausch ist.
Zweites Abendessen mit Familie Okamoto in Osaka
Auf unserer Reise durch Japan habe wir auch gelernt, wie vielseitig das Land ist. Insbesondere fällt der Kontrast zwischen Tradition und Moderne auf, der sich durch die vielen, einzigartigen Tempel und Shrines innerhalb der modernen Städte, bei einem gleichzeitig bestehenden wirklich beeindruckenden Verkehrsnetz, inklusive Shinkansen Schnellzug offenbart. Auch die Unterschiede zwischen der Ruhe in der unberührten Natur und den überfüllten Städten sind beachtlich: so erlebten wir innerhalb weniger Tage einerseits die meditative Gegend unweit des Mount Fuji und andererseits die Shibuya Kreuzung in Tokio, über die jede Minute bis zu eintausend Menschen laufen.
Nach der gemeinsamen Reise durch Japan zusammen mit meinen Eltern und meinem Freund, möchte ich gerne auch noch ein paar Eindrücke und Meinungen von ihnen teilen. In den über zwei Wochen, in denen sie Land und Leute kennen gelernt haben, sind ihnen besonders vier Eigenschaften der Menschen besonders aufgefallen, die sich auch mit meinem Empfinden und Erfahrungen decken: Die Höflichkeit, die Hilfsbereitschaft, die Pünktlichkeit und die Offenheit. Die Höflichkeit haben wir in mehreren Bereichen erlebt, denn die Japaner gehen sehr respektvoll und rücksichtsvoll untereinander aber auch mit Fremden um. Dieser Umgang miteinander zeigt sich im alltäglichen Leben und, wir haben verstanden, dass er auch essenziell für das Funktionieren der Gesellschaft ist. Denn Japan hat mit Tokio die größte Stadt der Welt und mit der Region Osaka, die zehnt größte Metropolregion der Welt. Aufgrund der geografischen Gegebenheiten mit viel unbewohnbaren vulkanischen Flächen und Gebirgsregionen bündeln sich alle Menschen und die komplette Industrie auf wenig Raum an den Küsten. Ohne die entsprechende Ordnung und Rücksicht, wäre ein so entspanntes Zusammenleben kaum möglich. Aus diesem Grund hinterlassen Japaner z.B. Orte, an denen sie waren, stets sauber und aufgeräumt, bei öffentlichen Toiletten fällt dies besonders auf. Auch gibt es kaum Mülleimer, da jeder seinen Müll sowieso mitnimmt. Japaner, vermeiden es zudem sich in öffentlichen Verkehrsmitteln und großen Menschenmassen lautstark zu unterhalten, aus Respekt anderen gegenüber. Generell dient dieses zurückgenommene Verhalten auch der Vermeidung von Konflikten. Wahrscheinlich ist auch die extrem niedrige Kriminalität auf diese Achtsamkeit zu verdanken.
Die Hilfsbereitschaft äußert sich sowohl Ausländern gegenüber als auch in der Gesellschaft. Wir Westlichen sind natürlich aufgefallen, aber jedes Mal, wenn wir „verloren aussahen“ hat uns ein Einheimischer seine Hilfe angeboten, egal ob am Bahnsteig, wenn wir nicht wussten, welchen Zug wir nehmen sollten, oder im Einkaufszentrum, wenn die Stockwerke nur mit japanischen Schriftzeichen beschrieben waren – jedes Mal half uns jemand. Im Land selbst merkt man die große Hilfsbereitschaft aber auch im Umgang der Japaner miteinander. Jeder ist aufmerksam und es wird stets versucht, andere an dem gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu lassen. So werden auch ältere Menschen häufig mit kleinen oder großen Aufgaben und Teilzeit oder Vollzeit-Tätigkeiten in den Alltag eingebunden, können so einer sinnvollen Aufgabe nachkommen und fühlen sich wertgeschätzt und gebraucht in der Gesellschaft.
Auch die Pünktlichkeit, insbesondere natürlich der öffentlichen Verkehrsmittel, aber auch bei privaten Verabredungen fällt auf. Auch diese erklären wir uns mit der besonderen Achrsamkeit und dem Respekt anderen gegenüber. Die Städte und das Zusammenleben funktionieren nur durch Verlässlichkeit und Pünktlichkeit so gut. Deshalb nutzt wohl auch der Großteil der Japaner die öffentlichen Verkehrsmittel gerne täglich und völlig selbstverständlich in jeder gesellschaftlichen Schicht. Das fällt insbesondere in Tokio auf: trotz der 36 Millionen Einwohner gibt es offensichtlich nur relativ wenige Autos (ein Auto auf vier Personen; , zum Vergleich: in Hamburg kommen auf ein Auto nur zwei Personen) und kaum jemals Staus. Dadurch ist die Stadt trotz der vielen Menschen sehr ruhig und die Luft angenehm sauber. Die gesamte Verkehrsinfrastruktur funktioniert hier einfach reibungslos. Sie wurde direkt nach dem Zweiten Weltkrieg mit großer Weitsicht und dem Ziel wirtschaftlichen und nachhaltigen Aufschwungs geplant, wird bis heute sehr genau und bedacht weiterentwickelt und vom Staat finanziell extrem gut unterstützt.
Zuletzt sprachen wir viel über die Offenheit der Japaner uns Ausländern gegenüber. Dies überrascht zunächst, denkt man doch, die Japaner seien eher verschlossen – das Gegenteil ist der Fall. Gerne teilen die Menschen ihre Geschichte und sprechen über ihre Kultur und Religion, schenken uns Origami-Papierkunst und versuchen mit uns zu kommunizieren, notfalls über Google-Translator. Bei unserer Fahrradtour durch Hiroshima bekamen wir sehr persönliche und ergreifende Einblicke in die Familiengeschichte eines Nachkommen des Atombomben Abwurfes von 1945 auf die Stadt.
Sehr schnell vergingen die zwei Wochen, denn wir machten einzigartige und unvergessliche Erfahrungen. Wir alle sind sehr glücklich über die vielen schönen Erlebnisse, die wir im „Land der aufgehenden Sonne“ hatten und sind beeindruckt von der Landschaft, der Kultur, dem Essen und – nicht zuletzt – den Menschen. Wir werden es sehr vermissen. Mit unseren Souvenirs und persönlichen Erfahrungen werden wir jedoch ein bisschen Japan nach Deutschland bringen und anderen Menschen Einblicke in diese wunderbare Kultur geben.