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☆☆☆Zweiter Bericht von Daniel Gottstein, 25. Stipendiat der GRÜNWALD STIFTUNG☆☆☆

  1. Stipendiatenbericht- Daniel Gottstein

Zwei weitere ereignisreiche Wochen in Japan sind vorüber, in denen ich vieles lernen durfte und mir Besonderheiten Japans in folgenden Themengebieten aufgefallen sind: Willkommenskultur, Schrift & Sprache, Stadtbild, Gewohnheiten.

  1. Willkommenskultur

Was ich anfangs noch unter glücklichen Zufällen abgespeichert habe, wiederholt sich zu häufig, um es weiterhin als solche zu betiteln: Mir wird mit großem Interesse und Aufgeschlossenheit begegnet. In mehreren Cafés entwickelte sich, trotz der vorhandenen Sprachbarriere, eine angeregte Konversation mit den Besitzer:Innen. Dabei war die Bereitschaft, mir neue japanische Worte beizubringen, hoch. In einem Café kam extra die Tochter der Besitzerin vorbei, um mit ihrem Englisch zu übersetzen und sich mehrere Stunden mit mir zu unterhalten.

Ein weiteres Beispiel ist ein Laufclub, der mich geradezu euphorisch aufnahm. Alle Mitglieder wussten bereits vorab Bescheid, dass ich mitlaufen würde, und suchten im Wechsel das Gespräch mit mir. Im Anschluss wurde ich mehrfach gebeten, wiederzukommen.

Bei einer Veranstaltung, die Geld für die Bekämpfung von Kinderlähmung einsammeln sollte, wurde ich direkt an die Hand genommen und proaktiv von verschiedenen Mitgliedern der Roteract-Jugend angesprochen und inkludiert. Sobald ich einen Moment allein war, kam direkt wieder jemand auf mich zu und verwickelte mich in ein Gespräch.

Während all dieser Erfahrungen drängte sich bei mir die Frage und Sorge auf, wie es umgekehrt für einen Japaner in Deutschland sein müsse – gewöhnt an Herzlichkeit und (vermutlich) konfrontiert mit Xenophobie und Zurückhaltung.

  1. Schrift & Sprache

Mit dem geduldigen Unterricht meines Japanisch Lehrers Okamoto-san hat sich das Entziffern des Hiragana-Alphabetes von völliger Überforderung zu erfreulichem Rätsellösen gewandelt. Für die Fähigkeit, Japanisch wirklich lesen zu können, werden allerdings auch 3 Monate Sprachunterricht nicht ausreichen. Mit 2600 aktiv genutzten und über 12 000 Kanji Zeichen insgesamt wurde mir erklärt, dass sogar Japaner hin und wieder ein Wörterbuch benutzen.

Außerdem spannend ist die digitale Tastatur bei Handys, die alle drei Alphabete vereint. Hinter die Funktionsweise der Kanji Zeichen und von Katakana bin ich auch hier noch nicht gekommen, aber für das Hiragana-Alphabet werden die Buchstaben in zehn Buchstabengruppen unterteilt. Mit einem einfachen Tippen und der Möglichkeit, in alle vier Himmelsrichtungen zu wischen, ergeben sich (meistens) fünf Auswahlmöglichkeiten für eine Gruppe. Das Tempo, mit dem diese Tastatur bedient wird, ist beeindruckend.

In der Sprache gibt es ähnlich wie im Deutschen Deklinationen, allerdings keine Konjugationen – lediglich die Zeit und Höflichkeit führen zu Veränderungen in den Verben. Besonders gut gefällt mir, dass offensichtlich grüne Gegenstände wie unreife Äpfel oder Ampeln mit blau beschrieben werden. Blau ist auf Japanisch kürzer und damit effizienter, außerdem wird so ein gewisses Mitdenken sichergestellt.

  1. Stadtbild

Neben der fußgängerfreundlichen Infrastruktur sind mir vor allem die zahlreichen Getränkeautomaten ins Auge gestochen. In so ziemlich jedem kleineren Dorf steht zumindest einer, an viel besuchten Hotspots manchmal bis zu sechs auf einmal. Dabei scheinen sie von der Bevölkerung mit Respekt behandelt zu werden, da die meisten in einwandfreiem Zustand sind. Inoffizielle Schätzungen sprechen von 5,5 Millionen Automaten japanweit, was einem Automaten pro 23 Einwohnern entspräche. Ob diese Zahl 100 % akkurat ist oder nicht, sie verdeutlicht auf alle Fälle die schiere Menge und damit deren Einfluss auf das Stadtbild. Anbei eine kleine Kostprobe, mit der Auflage, mindestens zwei nebeneinanderstehende Automaten abzulichten (wofür man vermutlich dennoch in einem Tag genügend Fotomaterial sammeln könnte).

Etwas seltener, aber für mich ebenso auffällig, da ich es beinahe ausgestorben geglaubt hatte, sind öffentliche Uhren. Sehr geschmackvoll gestaltet, findet man sie an den unterschiedlichsten Orten, weswegen sie für mich zum Stadtbild beitragen. Auch hier eine kleine Kostprobe:

  1. Gewohnheiten

Visitenkarten sind in Japan ein Muss. Zugegebenermaßen war ich überrascht, als Herr Okamoto mir vorab einen Entwurf meiner Visitenkarte zusandte. Nachdem ich nun bereits die Hälfte aller gedruckten Exemplare verteilt habe, ergibt das natürlich Sinn. Es ist wohl ein Höflichkeitsgebrauch, der gebietet die Karten immer mit beiden Händen zu übergeben und zu empfangen, aber gleichzeitig auch ein praktischer Kontaktaustausch. Wenn auch seltener – die jüngere Generation macht davon ebenfalls Gebrauch.

Bereits mehrfach wurde ich nach meinem Blut Typ gefragt. Anscheinend lassen sich damit Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ziehen. Es scheint mir vergleichbar zu sein mit den Sternzeichen, die in Deutschland häufiger zu Rate gezogen werden.

Dass Anime weit verbreitet ist, war mir bewusst, allerdings habe ich das Ausmaß unterschätzt. Die Fangemeinschaft ist riesig und auf den Handys in der Bahn sieht man mit großer Wahrscheinlichkeit Animevideos. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um Filme, sondern durchaus auch um kurze Clips in Reel- oder TikTok-Format. In kürzeren Konversationen, wie ich sie beispielsweise mit einer Verkäuferin in einem Vintageshop geführt habe, wird schnell danach gefragt, welches mein Lieblingsanime sei.

Ich freue mich sehr auf viele weitere Eindrücke und Erfahrungen in diesem wundervollen Land.