☆☆☆Fünfter Bericht von Christoph Jetter, sechszehnter Stipendiat der Grünwald Stiftung☆☆☆
Um mir ein Bild über die Arbeitskultur, sowie Einblicke in ein internationales Unternehmen zu bekommen, verbrachte ich einige Tage bei Yanmar, einem globalem Maschinenbauunternehmen aus Osaka. Während spannenden Einführungsveranstaltungen in das Unternehmen, Besichtigungen der Fabriken und interessanten Diskussionen über Zukunftsthemen des Unternehmens konnte ich viel über die Arbeitswelt in Japan lernen. Mir ist aufgefallen, dass Gesten und Aktionen in Japan deutlich wichtiger sind als Worte. Gute zwischenmenschliche Beziehungen sind die Basis für Geschäftsbeziehungen und ein gutes Miteinander innerhalb des Unternehmens. Dies spiegelt sich
auch in der ausgeprägten Geschenk-Kultur wieder. In Deutschland spricht man oft von den sehr ausgedehnten Arbeitszeiten in Asien. Japan ist dabei keine Ausnahme, denn „9-5“ ist hier eher selten. Japaner haben deutlich mehr Ferien als die meisten erwarten würden. Besonders gesetzliche Feiertage ermöglichen Japaner einen ähnlichen Urlaubsumfang wie in Deutschland. Trotzdem ist es in Japan unüblich länger als eine Woche am Stück in den Urlaub zu gehen. Dies war für mich eher unverständlich, weshalb ich wissen wollte wie es dazu kommt. Der primäre Unterschied zur Kultur in Deutschland ist, dass Japan durch das Kollektiv geprägt ist (Hofstede) während Deutschland ein Land
mit hohem Individualismus ist. Dementsprechend hat eine langer Urlaub am Stück negative Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung der Kollegen, was es zu vermeiden gilt. Diese Überlegung scheint mir in Deutschland eher zweitrangig zu sein.
Der Suita Rotact Club stellt für mich eine großartige Möglichkeit dar, mit den Einheimischen in meinem Alter in Kontakt zu treten. Während meinen bisherigen acht Wochen in Japan stellte ich oft fest, dass Europäer immer noch etwas Besonderes in Japan sind und vor allem ältere Generationen anderen Kulturen und Touristen gegenüber eher verschlossen und abweisend auftreten. Herr Okamoto ist ganz anders, was wohl auch an seinem langjährigen Aufenthalt im Ausland liegt. Seine Stiftung trägt einen großen Teil dazu bei, Japaner mit anderen Kulturen in Kontakt kommen zu lassen. Besonders die Leute von Rotact fragen mir Löcher in den Bauch, sind sehr aufgeschlossen und haben Interesse am
kulturellen Austausch. Ein möglicher Grund warum ältere Generationen Ausländern gegenüber verschlossener Auftreten könnte sein, dass Japan als Insel grundsätzlich nicht in direkten Kontakt mit anderen Kulturen kommt, anders als wir in Deutschland, wo die Wege zu umliegenden Ländern kurz sind. Zusätzlich waren Flüge früher deutlich teurer und das Reisen beschwerlicher, wodurch andere kulturelle Erfahrungen schwieriger zu erlangen waren. Die Mitglieder von Rotact jedenfalls haben eine andere Einstellung zu neuen Kulturen, da sie in einer globalisierten und verknüpften Welt aufgewachsen sind. Jedoch sieht man den Einfluss der Eltern sowie der Politik des Landes, da nahezu
keiner der gleichalten Mitglieder Englisch spricht.
In der gesamten Kansai Region gibt es nur einen einzigen Weihnachtsmarkt, was selbstverständlich an der religiösen Prägung Japans liegt. Wie sich herausstellte war es ein Deutscher Weihnachtsmarkt, weshalb ich zusammen mit meinen japanischen und deutschen Freunden einen Abend dort verbrachten. Bei teurem Glühwein, Gebäck, deutscher Bratwurst und Baumkuchen verbrachten wir einen netten und vorweihnachtlichen Abend. Obwohl Weihnachten im Buddhismus nicht von Bedeutung ist, erzählten mir meine japanischen Freunde, dass Weihnachten seit Jahren an Beliebtheit zunimmt. Dieser Trend lässt sich auch Im Stadtbild erkenne, da viele Lichterketten aufgehängt werden,
Kaufhäuser weihnachtlich dekorieren, Eislaufflächen aufgebaut werden und weihnachtliche Musik gespielt wird. Der Unterschied ist, dass Weihnachten in Japan primär vom Handel eingeführt wurde,
um den Umsatz zu steigern. Zeit für die Familie, gutes Essen und Besinnlichkeit wird in Japan eher an Neujahr gefeiert, wo im Gegensatz zu unser Kultur kaum Feuerwerk zu sehen ist. Trotzdem kommt der deutsche Weihnachtsmarkt bei den Einheimischen sehr gut an und hat viele Besucher. Schön zu beobachten ist die Verschmelzung der europäischen und der japanischen Kultur bei Veranstaltungen wie dem Weihnachtsmarkt. Anders als in Deutschland holt sich nicht jeder sein eigenes Essen, sondern jeder geht zu einem anderen Stand und am Ende wird alles geteilt. Diese Einstellung beim Essen möchte ich auch in Deutschland beibehalten, da es einem die Möglichkeit gibt viel mehr zu probieren
und gleichzeitig ein großartiges Symbol der Gemeinschaftlichkeit ist.
Japanisches Porzellan hat mir bereits vor meiner Zeit in Japan sehr gut gefallen. Die unterschiedliche Wahrnehmung von Ästhetik empfinde ich als spannend und schön. Dabei geht es weniger um das fehlerfreie Produkt, beziehungsweise klare und saubere Linienführung oder Kanten, sondern mehr um das „perfekte, unperfekte“. Dazu kommen Formen und Farben bei alltäglichen Gebrauchsgegenständen, die ich vor Japan nicht kannte und als sehr interessant empfunden habe. Um ein besseres Verständnis für die Produkte zu bekommen ging ich zusammen mit zwei Studentinnen aus Kyoto zu einer Töpferei wo wir neben einigen Erklärungen auch zwei Gegenstände selbst töpfern durften. Da es mein erste Erfahrung in einer Töpferei war, kam es mir sehr entgegen, dass nicht alles perfekt sein muss. Wir hatten sehr viel Spaß und bekamen viele Hintergründe und Einblicke in die traditionelle Herstellung von japanischem Porzellan. Dabei wurde mir auch nochmal die Bedeutung der Jahreszeiten in Japan verdeutlicht. Die japanische Kultur ist sehr eng mit der Umwelt verbunden, weshalb die einzelnen Jahreszeiten viel Einfluss im Alltag aufweisen, so auch beim Gebrauch des entsprechend verzierten Geschirrs. Im Widerspruch dazu verstehe ich nicht, wieso Japan so viel Plastikmüll produziert. Von allen Ländern, die ich bisher bereist habe, ist Japan im Hinblick auf Plastik am umweltunfreundlichsten. In Supermärkten ist quasi alles mehrfach in Plastik eingepackt, oft nur für optische Zwecke. So kann es sein, dass Erdbeeren einzeln in Plastik eingepackt sind. Von einem entwickelten Land wie Japan erwarte ich entsprechend mehr Rücksicht auf die Natur, auch wen dafür eventuell kulturelle Errungenschaften, wie die ausgeprägte Geschenkkultur, auf Plastiktüten oder zusätzliche Verzierungen verzichten müssen.
Inzwischen beginnt auch schon die Zeit des Abschiednehmens, weshalb Familie Ikawa nochmal ein ausgiebiges Abendessen organisiert hat. Beim traditionellen Sukiyaki, Bier, Sake und natürlich vielen selbergemachten Speisen hatten wir einen tollen Abend zusammen. Frau und Herr Ikawa sind großartige Köche und ich habe mich sehr gefreut Informationen über die Herstellung einiger Gerichte erfahren zu können. Kobe hat mir sehr gut gefallen und Familie Ikawa hat sehr viel Zeit und Engagement darin investiert mir die Umgebung zu zeigen. Ich hoffe, mich bei Gelegenheit in München revangieren zu können.
Für drei Tage fuhr ich mit Herr Okamoto, seiner Frau und Frau Moriyama nach Toyama (To = viele; Yama = Berge), die Heimat von Frau Okamoto. Es war das erste Mal, dass ich fernab von großen Städten und Menschenmassen während meines Japanaufenthalts war. Die ländliche Seite Japans hat mich sehr beeindruckt. Hohe Berge, Herbstlaub, Meer und Flüsse die sich durch die Landschaft ziehen. Die Unterschiede zum Stadtleben waren vor allem der gemütlichere Alltag, die Verbundenheit der Menschen zur Natur und die kaum vorhandenen öffentlichen Verkehrsmittel (Trotz Städten mit bis zu 600.000 Einwohnern). Die Naturverbundenheit und die Liebe zum Meer zeigt sich auch durch die in
der Region bekannte Krabbe (Kani). Da diese Delikatesse nur saisonal verfügbar ist, kann so eine Krabbe in Ausnahmefällen auch mal 400.000 Yen (ungefähr 3000€) kosten. Trotzdem gönnen sich die Einheimischen diesen Luxus und teilen das Krabbenfleisch mit Ihrer Familie oder Ihren Freunden. Diese Geste der Dankbarkeit hat einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft und zeigt einmal mehr, dass es in Japan um die Gemeinschaft und das Kollektiv geht, nicht um das Individuum. Ich habe hier in Japan gelernt, den in Deutschland sehr ausgeprägten Egoismus aus einem anderen Perspektive zu sehen und teilweise kritisch zu hinterfragen. Während des dreitägigen Ausflugs konnte ich die alte Stadt Shirakawa besichtigen, Kanazawa mit dem beeindruckendem Schloss entdecken, Berggipfel erklimmen und wurde kulinarisch sehr verwöhnt.