☆☆☆Erster Bericht von Daniel Gottstein, 25. Stipendiat der GRÜNWALD STIFTUNG☆☆☆

Zu Beginn möchte ich meinen herzlichen Dank an Herrn Okamoto richten. Seine außerordentliche Großzügigkeit – mit der zur Verfügung gestellten Wohnung im „Mädelhaus“, der von ihm investierten Zeit für kulinarische Erfahrungen (und Glücksmomente) sowie dem Sprachunterricht und seinem Engagement, mich zu unterschiedlichsten Veranstaltungen mitzunehmen – haben es mir ermöglicht, in den ersten zwei Wochen meines Aufenthalts unglaublich viele Eindrücke zu sammeln. Durch seine Unterstützung habe ich erste Einblicke in die japanische Kultur, Geschichte und Sprache bekommen und viele spannende Konversationen führen dürfen.
Im Folgenden möchte ich einige Unterschiede zu Deutschland und Besonderheiten beleuchten, die mir in meiner bisherigen Zeit in Osaka begegnet sind.
- Alltägliche Verhaltensweisen
Schon vor meiner Reise war mir bekannt, dass man in Japan beim Betreten von Privathäusern und Tempeln die Schuhe auszieht. Es überraschte mich allerdings, dass dieses Gebot auch in – für meine Auffassung – untypischeren Orten wie Umkleidekabinen von Bekleidungsgeschäften Anwendung findet.
Auffällig, speziell im Vergleich zu Deutschland, empfand ich auch die Geduld und Rücksichtnahme der Menschen. Beim Busfahren wird diszipliniert in einer Schlange gewartet, was längere Wartezeiten mit einer höheren Sitzplatzwahrscheinlichkeit belohnt. Für Fahrtkomfort in Zügen sorgt ein Telefonieverbot sowie das Selbstverständnis, nicht laut zu sprechen. Dies könnte unter anderem auch ein Grund sein, weswegen auffallend viele Menschen währenddessen schlafen. Wie meiner Meinung nach völlig richtig von Herrn Okamoto kommentiert: effiziente Zeitnutzung. Auch beim Essen zeigt sich die Rücksichtnahme: Eingeschenkt wird grundsätzlich nur den Tischnachbar:innen und nicht sich selbst.
Ein Thema, das bei einem Treffen der Japanisch-Deutschen Gesellschaft aufkam, war das Flirtverhalten. Dabei wurde betont, dass in Japan die Augen eine zentrale Rolle spielen: „Geliebäugelt“ wird eher durch Blicke als durch direkte Worte. Komplimente beziehen sich traditionell weniger auf das Äußere, sondern eher auf Sympathie oder Freundlichkeit. Zugleich wurde aber relativierend angemerkt, dass diese Gepflogenheiten heute nicht mehr ganz so streng eingehalten werden.
- Fußgängerfreundliche Infrastruktur
Sehr vorbildlich finde ich die Gestaltung der Ampelschaltungen. Neben den üblichen Signalen zeigen abnehmende Striche die verbleibende Zeit bis zum Umschalten an, wodurch Fußgänger Straßenüberquerungen besser planen können. Zusätzlich gibt es spezielle Knöpfe für ältere Menschen, die eine verlängerte Grünphase auslösen. Noch etwas verwirrend erscheinen mir Kreuzungen, bei denen alle vier Fußgängerampeln auf einen Schlag grün werden und man auch quer kreuzen kann.
- Öffentlicher Nahverkehr in Osaka
Der öffentliche Verkehr in Osaka wirkte auf mich anfangs unübersichtlich, da neben der staatlichen Japan Railway auch zahlreiche private Anbieter aktiv sind. Dennoch wird der Zugang für Reisende so unkompliziert wie möglich gestaltet. Mit der ICOCA-Karte lassen sich alle Linien gebündelt nutzen, und die Orientierung wird durch gute Ausschilderung sowie Bodenmarkierungen (Pfeile und Linien, denen man bis zu dem benötigten Gleis folgen kann) an großen Verkehrsknotenpunkten erleichtert. Zudem sind Ein- und Ausstiegsbereiche klar gekennzeichnet, teilweise mit vorgesehenen Warteschlangenflächen – eine Struktur, die die Abläufe erheblich effizienter macht. Die verschiedenen Bahnanbieter sorgen für Wettbewerbsdruck, der sich positiv auf die Preisgestaltung für Nutzer:innen auswirkt und auch pünktliche Abläufe in den Fokus rückt. Vielleicht sollte auch in Deutschland etwas mehr Wettbewerb erwogen werden.
- Serviceorientierung
Ein weiteres Charakteristikum Japans ist die ausgeprägte Servicekultur. Die Serviceorientierung zeigt sich täglich, beispielsweise bei Baustellen, an denen mehrere Personen allein dafür eingesetzt werden, Verkehrsfluss und Sicherheit zu gewährleisten, während eine Person die eigentliche Arbeit verrichtet. In Parkhäusern übernehmen Parkwärter nicht nur die Ticketübergabe, sondern auch die Einweisung in die Parklücke und die Navigation innerhalb des Parkhauses.
Die potenziellen Auswirkungen dieser starken Dienstleistungsorientierung ordnete Generalkonsulin Saxinger während eines sehr aufschlussreichen Gesprächs auch im volkswirtschaftlichen Kontext ein. Unter anderem könne auch diese Servicekultur ein Grund für ein ähnlich großes Bruttoinlandsprodukt sein – trotz ungefähr 50 % mehr Einwohnern in Japan, verglichen mit Deutschland.
- Musik und Kultur
Dank meiner Teilnahme an Aktivitäten der Japanisch-Deutschen Gesellschaft sowie bei meiner Willkommensfeier hatte ich die Gelegenheit, mit Pianistinnen ins Gespräch zu kommen. Auffällig war die einhellige Einschätzung, dass die Werke Chopins in Japan besonders beliebt sind – seine romantischen, eingängigen Melodien füllen die Konzertsäle stärker als Stücke anderer Komponisten. Auch Beethoven genießt hohe Popularität: Der Bürgermeister von Suita präsentierte uns den Text zur 9. Symphonie, den er als Chormitglied gerade einübt, und bei einem Nachbarschaftsfest berichtete man mir von einem großen Weihnachtschor, der „Freude schöner Götterfunken“ gemeinsam aufführt.
- Gegensätze
Für mich faszinierend sind bis dato auch die Gegensätze, die Japan meiner Auffassung nach verkörpert. In Osaka findet man sich in Vierteln wie Dōtonbori und Ebisuhigashi wieder, in denen überwältigend viele Eindrücke auf einen einprasseln, da es überall lärmt, blinkt und duftet. Fährt man 40 Minuten mit dem Zug nach Kyoto und begibt sich in eine Tempelanlage, strahlen die Gebäude hingegen Ruhe und Gelassenheit aus.
In kleinerem Maßstab ist ein Uniqlo-Store ein passender Vergleich dafür. In der beliebten japanischen Kleidungskette, von der es allein in Osaka wohl 24 Filialen gibt, findet man in einer Ecke sehr schlichte, stilvolle Basiskleidung. Geht man zur gegenüberliegenden Seite, finden sich dort ausgefallene T-Shirts mit Pokémon- und Anime-Motiven.