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☆☆ Vierter Bericht von Anna Götz, elfte Stipendiatin der Grünwald Stiftung ☆☆

„Gertrud, pack doch die Kamera weg! Wir sehen ja noch aus wie Touristen!“ Die meisten Deutschen wollen auf Reisen möglichst nicht als Touristen auffallen, um die Gegend aus der Sicht eines Einheimischen authentisch kennenzulernen. Die meisten Japaner hingegen kennen diese Angst nicht. Für sie ist es nichts Schlechtes sich Mühen gemacht zu haben, um eine Gegend zu besichtigen und kennenzulernen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf reiste ich zusammen mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester, die mich für zehn Tage besuchten, und meiner ehemalige Klassenkameradin und Freundin, die mich anschließend fünf Tage besuchte, die vergangenen drei Wochen durch Japan, das ich zuvor zwei Monate lang aus der Alltagssicht kennengelernt hatte. Zusammen sind wir nämlich umso mehr als Touristen aufgefallen. Es war stets äußerst witzig, wenn uns von ganzen Schulklassen, die wir an Sehenswürdigkeiten trafen, „Haro!“-s zugerufen wurden und Sehenswürdigkeiten sahen wir viele! Nachdem meine Familie in Japan ankam, reisten wir die ersten vier Tage in der mir inzwischen sehr vertrauten Kansai-Region mit Nara, Kyoto, Osaka und Kobe. An den Abenden durften wir dann dreimal mit Herrn und Frau Okamoto zusammen zu Abend essen. Einmal waren wir sogar ins Hause Okamoto eingeladen, wo wir bei sehr interessanten und amüsanten Gesprächen das typisch japanische Gericht Sukiyaki genießen konnten und Frau Okamoto am Ende sogar eine kleine Teezeremonie für uns veranstaltete. Nach diesen vier Tagen standen dann auf dem Reiseplan auch für mich unbekannte Orte. Es ging zuerst nach Tokio und von dort aus machten wir Tagesausflüge nach Yokohama, Kamakura und Nikko. Nach dieser Reise in den Norden brachte ich meine Familie zum Flughafen und holte meine Freundin davon ab. Mit ihr zusammen ging es dann weiter in den Süden: Okayama, Naoshima, Takamatsu, Iya-Tal, Hiroshima, Miyajima. Meine Freundin musste nach diesen Stationen leider Japan wieder verlassen. Für mich ging es aber noch weiter nach Nagasaki, wo ich einen Freund besuchte, Karatsu, Saga, Fukuoka, Tottori und Kinosaki. Aber nun genug von unseren Reisestationen und mehr dazu was wir denn eigentlich gesehen und erlebt haben.

Um ein möglichst breit gefächertes Bild von Japan zu erhalten, hatte ich unsere Reiseplanung so gestaltet, dass wir die unterschiedlichsten Ziele ansteuerten. Dabei lassen sich diese Ziele in unterschiedlichsten „Reise-Kategorien“ unterteilen: Geschichte, Religion, Kunst, regionale Besonderheiten, Natur, bekannte Sehenswürdigkeiten, Superlative, sonderbare Dinge und Tradition.

Geschichtlich gesehen gab es quasi eine Reise in die wichtigsten historischen Machtzentren Japans: Nara – die erste dauerhaft Hauptstadt; Kyoto – hierhin wurde die Hauptstadt verlegt; Kamakura – nach langen kriegerischen Auseinandersetzungen gründete die dominierende Familie hier ein Militär-Shogunats; Tokio – Tokugawa verlegte hierhin den Sitz des Shogunats. Auch Fukuoka, vor dessen Küsten die Mongolen scheiterten Japan einzunehmen, Nagasaki, in dessen Hafen auf Veranlassung Tokugawas der einzige Austausch mit dem Ausland für lange Zeit stattfinden durfte und dem Ueno-Park in Tokio, in dem die Truppen derer, die später die Meiji-Restauration durchführten, eine entscheidende Schlacht gewannen, statteten wir Besuche ab. Historisch bedeutend, aber äußerst tragisch waren die Ereignisse in Hiroshima und Nagasaki, über denen Atombomben abgeworfen wurden und in Kobe, wo ein großes Erdbeben stattgefunden hatte. Auch diese besuchten wir.

Geschichte

Aber auf der Reise besuchten wir nicht nur geschichtlich bedeutende Städte und Orte, sondern auch religiöse.

Religion-1

Religion-2

Bei dem Aufenthalt auf Naoshima wurden auch die Künstlerherzen unter uns befriedigt.

Kunst-Naoshima

Auf Naoshima besuchten wir auch das erste Mal eine Onse. Ich konnte aber nicht nur dort Erfahrungen mit Onsen sammeln, sondern auch in Kinosaki. Dort gilt es als besondere Entspannung in einer Yukata und Holzschuhen von Onse zu Onse zu laufen, was ich natürlich sofort ausprobieren musste. Auch in Fukuoka testete ich eine regionale Besonderheit. Hier werden nämlich am Abend auf ganz normalen Straßen mobile Restaurants, sogenannte Yatai, aufgestellt. In diesen sind die Regeln etwas anders als in normalen Restaurants, da sie sehr klein sind. Man isst nicht für sich alleine, sondern mit allen anderen Gästen. Es wird gelacht, gegessen und natürlich getrunken. Dabei kümmert sich meist nur eine Person – meist schon in der achsovielten Generation – um alles vom Aufstellen der Yatai, über das Kochen bis zum Abrechnen. Fukuoaka bietet aber auch noch eine weitere Besonderheit das Hakata Gion Yamakasa, bei dessen Höhepunkt mehrere hundert Männer tonnenschwere Schreine über eine fünf Kilometer lange Strecke tragen. Leider war ich nicht zur Zeit des Festivals in der Stadt, aber ich konnte mich in einem Museum darüber informieren und habe dann sogar Vorbereitungen für das nächste Festival beobachten können. Dem Aoi matsuri in Kyoto hingegen konnten ich und meine Familie beiwohnen. Bei diesem Fest, einer regionalen Besonderheit, nehmen rund 600 Leute in historischen Kostümen an einer prunkvollen Prozession vom Kaiserpalast aus teil.

Onsen

regionale Besonderheiten

Bereits in meinem letzten Bericht habe ich von dem Facettenreichtum der japanischen Natur geschwärmt. Sie ist aber noch fantastischer als ich dachte.

Meer

Tottori

rest natur

Wald

Iya

Gärten

Japan hat wie man sieht viele Sehenswürdigkeiten zu bieten.

Sehenswürdigkeiten

Dabei handelt es sich bei einigen dieser Sehenswürdigkeiten, um richtige Superlative. So findet man in Japan das älteste Holzgebäude (Hōryūji-Tempel in Ikaruga), das größte Holzgebäude (Tōdaiji-Tempel in Nara), den größten Fischmarkt (Tsukiji-Fischmarkt in Tokio), den meist benutzten Bahnhof (Shinjuku Station in Tokio), die geschäftigste Kreuzung (bei Shibuya Station in Tokio), das Starbucks-Geschäft mit dem höchsten Jahresumsatz (bei Shibuya Station in Tokio), den höchsten freistehenden Fernsehturm (Tokyo Skytree) und den schnellsten Lift (im Landmark Tower in Yokohama) der Welt.

Superlative-rest

Superlative-Tokio

Von diesen Extremen hört man immer wieder auch in deutschen Vorabend-Sendungen, in denen sich irgendein Reporter auf nach Japan macht, um das Land zu entdecken. In diesen Sendungen wird meist nach der Nennung dieser Superlative der Grad der Verrücktheit langsam gesteigert. Zuerst wird noch ganz harmlos von japanischen High-Tech-Robotern, dem in Japan deutlich beliebteren Karaoke, Pachinko-Spielhallen und Kapselhotels berichtet – diese haben sich in Japan entwickelt, um Geschäftsmänner, die den letzten Zug verpasst haben und in den 24-Stunden-geöffneten, billigen Saunas übernachteten, eine preiswerte Alternative zu bieten. Diese Berichte gipfeln dann meist in den Schilderungen von sonderbaren und verrückten Dingen, die man in Japan findet. Ganz vorne dabei bei diesen Dingen sind „Gebrauchte-Höschen-Automaten“, Maid-Cafés, Eulen-Cafés, das Robot Restaurant in Tokio und Exzentriker, die sich gerne modisch ausdrücken. Dadurch schaffen diese Sendungen ein Bild von Japan als ob es ein Ort von einem anderen verrückten Planeten sei. Das Ziel: Die Einschaltquoten zu erhöhen. Dabei bleibt aber eines auf der Strecke, nämlich ein allumfassendes Bild von Japan. Denn wie wir auf der Reise feststellten kann man zwar diese verrückten Dinge in Japan finden, aber sie werden nur von einem absolut geringen Bruchteil der Bevölkerung genutzt. Es handelt sich lediglich um die Schließung einer Marktlücke, die unter anderem auch durch die Touristen, die diese Vorabend-Sendungen schauen, entsteht. So habe ich bei der von mir besuchten Veranstaltung im Robot Restaurant nur zwei Japaner gesehen.

verrückt1

Verrückte Dinge

verrücktes3

Eine Aussage, die oft auch in diesen Sendungen gemacht wird, ist allerdings interessant zu betrachten: Japan ist ein Land zwischen Tradition und Moderne. Dass wir Europäer dies so empfinden, liegt daran, dass bei uns Traditionen von der Moderne streng getrennt werden. Wir versuchen sie möglich authentisch zu erhalten. Desweiteren steht man Innovationen und Weiterentwicklungen bei uns meist erst einmal skeptisch gegenüber. In Japan kennt man diese Berührungsängste allerdings nicht. Die Traditionen und die mit ihnen einhergehende Mentalität gelten als Grundbaustein Japans und als so fest verankert, dass die Moderne ihnen nichts anhaben kann. So wird es nicht als Verfälschung empfunden, wenn man einen historischen Ort, wie zum Beispiel die Burg von Osaka oder Okayama, komplett rekonstruiert.

Tradition

Tradition2

trad-mod

mod-trad

Im Allgemeinen stellte ich bei meiner Reise auch vermehrt fest, dass der Japaner keine Berührungsangst mit künstlichen, touristischen und kitschigen Konstruktionen wie beispielsweise Freizeitparks und anderen Ausflugsziele hat. Diese werden oft bei Dates aufgesucht. Es besteht dabei generell kein Problem mit dem in Deutschland so verhassten Kitsch, dem bunten, süßen, ohne Tiefgang Unterhaltendem. Die Japaner lieben sogar das, was bei uns als Kitsch geschimpft wird. In seinen Augen, vor allem in denen der Japanerin, ist er super niedlich (Kawaii).

kitsch

Ohne Angst vor Kitsch und dem Erkannt werden als Touristin konnte ich also in den letzten drei Wochen unbesorgt durch Japan reisen und es aus der Sicht eines Reisenden erforschen.

Abschließend kann ich sagen war die Reise erstaunlich stressfrei, sogar in der riesigen Millionenstadt Tokio. Dies liegt daran, dass Japan super organisiert ist, die öffentlichen Verkehrsmittel immer pünktlich sind und jeder höflich und zuvorkommend ist. Einziger Minuspunkt: quasi keine Straßennamen. Zu dieser Stressfreiheit hat aber auch sicher die bekannte japanische Gastfreundschaft (Omotenashi) beigetragen. Diese bemerkt man schon im Restaurant, wenn man Erfrischungstücher und kostenloses Wasser oder Tee bekommt. Als ich aber eine Nacht in einem Ryokan (traditionellen japanischem Gasthaus) übernachtet habe, war ich völlig sprachlos vom Ausmaß der Gastfreundschaft. Es wurde alles daran gesetzt, dass ich mich wohl fühle und jedes kleine Detail wurde beachtet. Der Besitzer machte sogar mit mir einen Ausflug mit seinem Auto ans Japanische Meer und zeigte mir die Gegend. Die Gastfreundschaft zeigt sich aber auch im Privaten. So bestand beispielsweise eine absolut liebenswerte ältere Dame darauf mich zu meinem Ziel zu fahren, als ich sie nach dem Weg fragte.

Ich bin also nach drei Wochen stressfreiem Reisen mit vielen wunderbaren Erinnerungen und Erkenntnissen und natürlich in Japan obligatorischen Omiyage im Gepäck wieder in Suita angekommen und schaue einerseits mit großer Vorfreude den Erfahrungen meiner letzten beiden Wochen entgegen, andererseits wünsche ich mir, ich hätte noch viel mehr Zeit in Japan übrig.

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