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☆☆ Zweiter Bericht von Anjuli Franz, dreizehnte Stipendiatin der Grünwald Stiftung ☆☆

Nach vier Wochen in Japan habe ich mich in Osaka eingelebt und schätze die Stadt als weltoffene Metropole mit sehr hoher Lebensqualität. Diese ist gegeben durch das große Angebot an kulturellen und sportlichen Aktivitäten, die perfekte Lage inmitten der Kansai-Region, und vor allem die Menschen, die ich bisher als sehr interessiert, sehr offen und freundlich kennen gelernt habe. In Japan fühlt man sich so sicher wie in keinem anderen Land der Welt (behaupte ich, ohne sie alle bereist zu haben), und dieses Gefühl kann man wahrscheinlich erst nachvollziehen, wenn man es selbst erlebt hat.

Ich habe die letzten beiden Wochen genutzt, um die Region Kansai sowohl von ihrer städtischen als auch ländlichen Seite kennen zu lernen. Frau Ikawa, Mitglied der Japanisch-Deutschen-Gesellschaft in Kobe, lud mich ein, zusammen mit ihrer Tochter Sakura die Stadt zu erkunden. Gemeinsam spazierten wir durch den Hafen mit dem bekannten roten Kobe-Tower und genossen das herrliche Wetter.

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Es ist faszinierend, zu sehen, wie schnell die Stadt nach dem schweren Erdbeben 1995 wieder aufgebaut wurde. Die zweite Hälfte des Tages verbrachten wir in Kitano, dem ehemaligen Ausländerviertel, wo sich Anfang des 20. Jahrhunderts viele europäische Händler ansiedelten und Villen im europäischen Stil hinterließen, die zur Besichtigung geöffnet sind. Kobe ist zwischen dem Meer und dem Rokko-Gebirge gelegen, in welchem ich mit Sakura und einer zehnköpfigen Gruppe eine Wanderung auf die Gipfel Kikusui-yama und Nabebuta-yama unternahm. Dabei waren neben bestem Wetter und fantastischem Blick auf die Küste die gegrillten Marshmallows am Ende des Tages eines der Highlights.

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Mehrere Tage verbrachte ich in Kyoto – und habe doch erst einen Bruchteil der Stadt und vor allem der zahlreichen Sehenswürdigkeiten gesehen. Ich genieße es sehr, mir hierbei viel Zeit lassen zu können, und die Stadt in aller Ruhe zu erkunden. Bei meinem ersten Besuch besichtigte ich den Heian-Schrein und den angrenzenden Garten sowie den Chion-in-Tempel, in dem ich bei einer buddhistischen Zeremonie dem Trommeln und Singen der Mönche lauschen durfte.

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Meine Wanderung vom Bergdorf Kibune (nördlich von Kyoto) führte mich durch einen verwurzelten Zedernwald nach Kurama, wo mich ein beeindruckender Tempel mit Bergblick erwartete. Nach dem etwa zweistündigen Marsch tauchte ich das erste Mal in einen Onsen ein und genoss das heiße Quellwasser mit Blick auf die umliegenden Wälder und Hügel, was ein sehr schönes Erlebnis war.

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Bei meinem nächsten Besuch in Kyoto lieh ich mir ein Fahrrad, das beste Fortbewegungsmittel in dieser Stadt, und radelte zum Ginkaku-ji, einem Tempelgelände, das den sogenannten Silverpavillon beinhaltet. Er wurde im 15. Jahrhundert gebaut und kam leider aufgrund politischer Unruhen und finanziellen Untergangs des auftraggebenden Herrschers nie zu seiner ursprünglich geplanten Versilberung. Der Tempel wurde zu einem Zen-Tempel, im Garten finden sich viele sorgfältig gerechte Sandflächen und ein perfekt aufgeschichteter Sandhügel, der den Mount Fuji repräsentiert. Haben die Japaner ihre Vorliebe für schlichte Formen und klare Linien von der perfekten Form des Bergs, oder hat sich der Berg notgedrungen angepasst?

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Der Rückweg führte mich durch Kyotos schöne Straßen und Gassen, sehr oft geschmückt mit zahlreichen Blumentöpfen. Jeder noch so kleine Vorgarten ist hier liebevoll angelegt mit sorgfältig in Form geschnittenen Bäumchen und bemoosten Steinen.

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Das dritte Ziel meiner Erkundungen war Nara, eine sehr schöne Stadt, die mit dem Todai-ji-Tempel unter anderem das weltweit größte Holzgebäude beherbergt. Hier hatte ich Begleitung von Herrn Keisuke Hama, der mir einen Tag lang die schönsten Ecken der Stadt gezeigt hat. Als pensionierter Architekt konnte er mir sehr viel über die Bauweise und generell die Geschichte der verschiedenen Bauwerke erzählen, was die Besichtigung um ein Vielfaches interessanter gemacht hat.

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Nachdem wir den Rehen im Park bei ihrer morgendlichen Fütterung zugeschaut hatten, spazierten wir zum Kasuga-Schrein, wo mich vor allem die aufwendig gearbeiteten Laternen fasziniert haben. Der Einsatz verschiedener Naturmaterialien wie Stein, Holz, Stroh und Papier trägt in der traditionellen japanischen Bauweise dazu bei, dass die Bauwerke in starker Verbindung zur Natur stehen.

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Faszinierend ist, dass die Naturreligion des Shintoismus und der Buddhismus sich in Japan in keinem Punkt im Weg stehen. Teilweise stehen Schreine in Tempeln und Tempel im Schreingelände, der eine zum Schutz des anderen. Diese von den Japanern problemlos akzeptierte Koexistenz ist aber wahrscheinlich stark dadurch bedingt, dass der Shintoismus sowohl polytheistischen als auch pantheistischen (= alles ist von Gott beseelt) Charakter hat und sich im Buddhismus Buddha selbst weder als Gott noch als Überbringer der Lehre eines Gottes sah, sondern als durch Kontemplation zum Verständnis Gelangter. Damit gibt es, im Gegensatz zu monotheistischen Glaubenssystemen, keine absolute und allmächtige Gottfigur, die mit ihresgleichen in Konkurrenz stehen kann. Langer Rede kurzer Sinn, nach ausgiebiger Schreinbesichtigung sind wir zum daneben gelegenen Tempel Todai-ji spaziert und haben die weltweit größte Buddha-Bronzestatue, bewacht von grimmig dreinblickenden Wächtern, bestaunt.

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In Osaka konnte ich, zum Beispiel beim monatlichen Treffen “Deutsche Meets” oder dem Stammtisch der Japanisch-Deutschen-Gesellschaft, spannende Kontakte mit vielen Japanern jeden Alters knüpfen und habe dabei sehr großes Interesse an Deutschland und der deutschen Kultur erfahren. Die unteren beiden Fotos sind in Herrn und Frau Okamotos traditionell japanisch eingerichteten Zimmer aufgenommen, wo wir nach dem Abendessen eine kleine Teezeremonie abhielten. Der Besuch des ehemaligen Stipendiaten Lorenz und seiner Eltern bot eine sehr nette Möglichkeit, sich gegenseitig über die in Japan gemachten Erfahrungen auszutauschen. Ich bin unendlich dankbar für die unermüdliche Großzügigkeit von Herrn Okamoto, mit der er es den Stipendiaten der Grünwaldstiftung durch seinen finanziellen und ideellen Einsatz ermöglicht, Japan auf so unbeschwerte Weise kennen zu lernen.

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